Florian Gerlach

Seminare zum „Recht der Sozialen Arbeit“

Evangelische Hochschule Bochum

Leistungen zur medizinischen Rehabilitation

Einführung

Besondere Aufgabe der medizinischen Rehabilitation im Rahmen der Eingliederungshilfe ist es, eine (drohende) wesentliche Behinderung abzuwenden, zu beseitigen, zu mindern, auszugleichen, eine Verschlimmerung zu verhüten oder die Leistungsberechtigten soweit wie möglich unabhängig von Pflege zu machen.

Lesen Sie: § 90 Abs. 2 SGB IX

Als Leistung der Eingliederungshilfe soll sie dazu beitragen, dem Leistungsberechtigten eine individuelle Lebensführung zu ermöglichen, die der Würde des Menschen entspricht und die volle, wirksame und gleichberechtigte Teilhabe am Leben in der Gesellschaft zu fördern. Die Leistung soll sie befähigen, ihre Lebensplanung und -führung möglichst selbstbestimmt und eigenverantwortlich wahrnehmen zu können.

Lesen Sie: § 90 Abs. 1 SGB IX

Alle Leistungen der medizinischen Rehabilitation sind an dieser Zielsetzung zu messen. Sie bildet den Maßstab dafür, auf welche Leistungen in welchem Umfang ein Anspruch besteht. Erst wenn der Zweck der medizinischen Rehabilitation erfüllt ist, ist der Bedarf gedeckt. Ein Anspruch auf Leistungen der medizinischen Rehabilitation findet jedoch zugleich auch seine Grenze in diesem Zweck. Ist eine bestimmte Leistung entweder nicht geeignet oder nicht (mehr) erforderlich, so besteht auch kein Anspruch.

Leistungen zur medizinischen Rehabilitation spielen im Recht der Eingliederungshilfe nur eine untergeordnete Rolle. Medizinische Rehabilitationsleistungen werden nicht nur im Rahmen der Eingliederungshilfe erbracht, sie gehören insbesondere zum Leistungskatalog der gesetzlichen und privaten Krankenversicherungen. Die Eingliederungshilfeträger beziehungsweise Träger der Jugendhilfe sind lediglich subsidiär zuständig für diese Leistungen.

Abgrenzungsfragen

Die medizinische Rehabilitation ist abzugrenzen von anderen Rehabilitationsleistungen einerseits und der Krankenbehandlung andererseits.

Abgrenzung von anderen Rehabilitationsleistungen

Leistungen zur medizinischen Rehabilitation sind von anderen Rehabilitationsleistungen über ihren Zweck abzugrenzen. Die medizinische Rehabilitation dient dazu, den Gesundheitszustand eines Menschen zu erhalten oder zu verbessern.

Lesen Sie: BSG 6.4.2011 – B 4 AS 3/10 R

Dienen die Leistungen einem anderen Zweck, etwa der Wiedereingliederung in den Beruf oder der Teilhabe am Sozialleben, so handelt es sich in ersterem Fall um Leistungen zur Teilhabe am Arbeitsleben, in letzterem Fall um Leistungen zur Sozialen Teilhabe.

Abgrenzung von Leistungen zur Krankenbehandlung

Leistungen zur medizinischen Rehabilitation sind zudem abzugrenzen von Leistungen zur Krankenbehandlung. Leistungen zur Krankenbehandlung werden stets nur von den Krankenkassen erbracht.

Dabei gilt: „Rehabilitation hat die Aufgabe, den Folgen von Krankheiten in Form von Fähigkeitsstörungen und Beeinträchtigungen vorzubeugen, sie zu beseitigen oder zu bessern oder deren wesentliche Verschlechterung abzuwenden. Die Vermeidung der Verschlimmerung von Krankheiten ist dagegen Aufgabe der Behandlung einer Krankheit und Vorsorge.“

Lesen Sie: BT-Drs. 14/1245, 61

Bei der medizinischen Rehabilitation stehen daher die Folgen von Krankheiten und deren Abwendung im Mittelpunkt, während die Krankenbehandlung vornehmlich auf die Behandlung und Therapie der Krankheit selber abzielt.

Einige Leistungen aus dem Katalog der medizinischen Rehabilitationsleistungen können zugleich Leistungen zur Krankenbehandlung sein. Die Angrenzung erfolgt anhand des Zwecks der Leistung.

Leistungen zur medizinischen Rehabilitation

Die Leistungen zu medizinischen Rehabilitation in der Eingliederungshilfe decken sich überwiegend mit den allgemeinen Leistungen zur medizinischen Rehabilitation. Es handelt sich um einen offenen Leistungskatalog („insbesondere“).

Beachte: Die Leistungen entsprechen den Rehabilitationsleistungen der gesetzlichen Krankenversicherung. Das bedeutet, dass nur solche Leistungen der medizinischen Rehabilitation im Rahmen der Eingliederungshilfe erbracht werden, die auch die gesetzliche Krankenversicherung übernehmen würde.

Lesen Sie: § 109 Abs. 2 SGB IX

Bei der Erbringung von Leistungen zur medizinischen Rehabilitation sind die Regelungen, die für die gesetzlichen Krankenkassen nach dem Vierten Kapitel des Fünften Buches gelten, mit Ausnahme des Dritten Titels des Zweiten Abschnitts anzuwenden.

Lesen Sie: § 110 Abs. 2 S. 1 SGB IX

Soweit es im Einzelfall geboten ist, prüft der zuständige Rehabilitationsträger gleichzeitig mit der Einleitung einer Leistung zur medizinischen Rehabilitation, während ihrer Ausführung und nach ihrem Abschluss, ob durch geeignete Leistungen zur Teilhabe am Arbeitsleben die Erwerbsfähigkeit von Menschen mit Behinderungen oder von Behinderung bedrohten Menschen erhalten, gebessert oder wiederhergestellt werden kann. Er beteiligt die Bundesagentur für Arbeit nach § 54.

Lesen Sie: § 10 Abs. 1 SGB IX

Zu den Leistungen gehören

  • medizinische Leistungen
  • psychosoziale Hilfen und
  • ergänzende Leistungen.

Diese werden im Folgenden näher erläutert.

Medizinische Leistungen

Die Leistungen zur medizinischen Rehabilitation umfassen insbesondere folgende Leistungen nach § 42 Abs. 2 SGB IX:

  1. Behandlung. Umfasst ist die Behandlung durch Ärzte, Zahnärzte und Angehörige anderer Heilberufe, soweit deren Leistungen unter ärztlicher Aufsicht oder auf ärztliche Anordnung ausgeführt werden. Umfasst ist auch die Anleitung, eigene Heilungskräfte zu entwickeln.
  2. Früherkennung und Frühförderung. Leistungen zur Früherkennuung und Frühförderung werden an Kinder mit Behinderungen und von Behinderung bedrohte Kinder erbracht. Hierbei handelt es sich um ein System interdisziplinärer, aufeinander abgestimmter Leistungen, zu denen auch solche der medizinischen Rehabilitation gehören. Die Einzelheiten sind in § 46 SGB IX geregelt. Die Palette an Leistungen ist umfassend. Erbracht werden medizinische Leistungen der fachübergreifend arbeitenden Dienste und Einrichtungen sowie nichtärztliche sozialpädiatrische, psychologische, heilpädagogische und psychosoziale Leistungen und die Beratung der Erziehungsberechtigten, durch interdisziplinäre Frühförderstellen oder nach Landesrecht zugelassene Einrichtungen mit vergleichbarem interdisziplinärem Förder-, Behandlungs- und Beratungsspektrum, auch in fachübergreifend arbeitenden Diensten und Einrichtungen, wenn sie unter ärztlicher Verantwortung erbracht werden und erforderlich sind. Sie sind darauf gerichtet, eine drohende oder bereits eingetretene Behinderung zum frühestmöglichen Zeitpunkt zu erkennen und einen individuellen Behandlungsplan aufzustellen.Die Leistungen werden zusammen mit heilpädagogischen Leistungen nach § 79 SGB IX als Komplexleistung, also aus einer Hand und aufeinender abgestimmt erbracht. Die Komplexleistung umfasst auch Leistungen zur Sicherung der Interdisziplinarität. Maßnahmen zur Komplexleistung können gleichzeitig oder nacheinander sowie in unterschiedlicher und gegebenenfalls wechselnder Intensität ab Geburt bis zur Einschulung eines Kindes mit Behinderung oder drohender Behinderung erfolgen. Die Leistungen sind erforderlich, wenn sie eine drohende oder bereits eingetretene Behinderung zum frühestmöglichen Zeitpunkt erkennen helfen oder die eingetretene Behinderung durch gezielte Förder- und Behandlungsmaßnahmen ausgleichen oder mildern.
  3. Auch Arznei- und Verbandsmittel gehören zu den Leistungen.
  4. Heilmittel. Heilmittel sind „alle persönlichen medizinischen Dienstleistungen, die grundsätzlich … von nichtärztlichen Leistungserbringern erbracht werden“ (vgl. BSG, 28.6.2001 – B 3 KR 3/00 R). Umfasst sind auch physikalische, Sprach- und Beschäftigungstherapien. Welche Heilmittel umfasst sind, bestimmt die Heilmittel-Richtlinie. Leistungen, die nach der Heilmittel-Richtlinie nicht umfasst sind, können unter Umständen als Leistungen zur Sozialen Teilhabe erbracht werden.
  5. Zu den Leistungen gehört auch die Psychotherapie als ärztliche und psychotherapeutische Behandlung.
  6. Hilfsmittel. Hilfsmittel sind Leistungen, die dazu dienen, einer drohenden Behinderung vorzubeugen, den Erfolg einer Heilbehandlung zu sichern oder eine Behinderung bei der Befriedigung von Grundbedürfnissen des täglichen Lebens auszugleichen, soweit die Hilfsmittel nicht allgemeine Gebrauchsgegenstände des täglichen Lebens sind. Einzelheiten sind in § 47 SGB IX geregelt. Hilfsmittel (Körperersatzstücke sowie orthopädische und andere Hilfsmittel) umfassen die Hilfen, die von den Leistungsberechtigten getragen oder mitgeführt oder bei einem Wohnungswechsel mitgenommen werden können. Umfasst ist auch die notwendige Änderung, Instandhaltung, Ersatzbeschaffung sowie die Ausbildung im Gebrauch der Hilfsmittel.
  7. Digitale Gesundheitsanwendungen. Digitale Gesundheitsanwendungen sind Medizinprodukte, deren Hauptfunktion wesentlich auf digitalen Technologien beruht. Einzelheiten sind in § 47a SGB IX geregelt. Sie sind dazu bestimmt, die Erkennung, Überwachung, Behandlung oder Linderung von Krankheiten oder die Erkennung, Behandlung, Linderung oder Kompensierung von Verletzungen oder Behinderungen zu unterstützen. Hierzu gehören etwa Gesundheits-Apps.
  8. Belastungserprobung und Arbeitstherapie. Die Belastungserprobung dient dazu, die Leistungs- und Arbeitsfähigkeit von Menschen mit Behinderung zu ermitteln. Die Arbeitstherapie schließt sich in der Regel an eine Belastungserprobung an, um die Arbeitsbelastung am bisherigen Arbeitsplatz zu verringern.

Psychosoziale Leistungen

Darüber hinaus sind auch die Leistungen nach § 42 Abs. 3 SGB IX umfasst. Dies sind insbesondere:

  1. Hilfen zur Unterstützung bei der Krankheits- und Behinderungsverarbeitung,
  2. Hilfen zur Aktivierung von Selbsthilfepotentialen,
  3. die Information und Beratung von Partnern und Angehörigen sowie von Vorgesetzten und Kollegen, wenn die Leistungsberechtigten dem zustimmen,
  4. die Vermittlung von Kontakten zu örtlichen Selbsthilfe- und Beratungsmöglichkeiten,
  5. Hilfen zur seelischen Stabilisierung und zur Förderung der sozialen Kompetenz, unter anderem durch Training sozialer und kommunikativer Fähigkeiten und im Umgang mit Krisensituationen,
  6. das Training lebenspraktischer Fähigkeiten sowie
  7. die Anleitung und Motivation zur Inanspruchnahme von Leistungen der medizinischen Rehabilitation.

Die psychosozialen Leistungen werden als Annexleistungen zu den medizinischen Leistungen erbracht. Sie werden also als Zusatz zu den Hauptleistungen nach Abs. 2 erbracht. Die Hauptleistung muss den Schwerpunkt der Hilfe bilden. Die psychosozialen Leistungen werden im Rahmen der medizinischen Rehabilitation nicht eigenständig ohne Hauptleistung erbracht. Sie können aber teilweise als Leistung der Sozialen Teilhabe eigenständig erbracht werden.

Ergänzende Leistungen

Zusätzlich zu den medizinischen Leistungen werden sogenannte ergänzende Leistungen erbracht. Zwar gehören ergänzende Leistungen nicht zum Katalog der Eingliederungshilfeleistungen nach § 102 Abs. 1 SGB IX, ausgewählte ergänzende Leistungen werden aber im Rahmen der medizinischen Rehabilitation erbracht. Dies bestimmt § 109 Abs. 1 SGB IX.

Als ergänzende Leistungen nach § 64 Abs. 1 Nr. 3 – 6 SGB IX werden erbracht:

  • ärztlich verordneter Rehabilitationssport in Gruppen unter ärztlicher Betreuung und Überwachung, einschließlich Übungen für behinderte oder von Behinderung bedrohte Frauen und Mädchen, die der Stärkung des Selbstbewusstseins dienen,
  • ärztlich verordnetes Funktionstraining in Gruppen unter fachkundiger Anleitung und Überwachung,
  • Reisekosten sowie
  • Betriebs- oder Haushaltshilfe und Kinderbetreuungskosten.

Die ergänzenden Leistungen sind abhängig von einer Hauptleistung, können also nur erbracht werden, wenn andere Leistungen zur medizinischen Rehabilitation gewährt werden.

Zielgruppe

Medizinische Rehabilitationsleistungen als Leistungen der Eingliederungshilfe werden Menschen mit einer wesentlichen (drohenden) körperlichen, geistigen oder Mehrfach-Behinderung und Menschen mit einer (drohenden) seelischen Behinderung gewährt.

Lesen Sie: § 99 Abs. 1 SGB IX sowie § 35 a Abs. 1 SGB VIII

Menschen mit einer nicht wesentlichen (drohenden) körperlichen oder geistigen Behinderung können Leistungen der Eingliederungshilfe erhalten. Die Entscheidung liegt im Ermessen der Behörde.

Lesen Sie: § 99 Abs. 3 SGB IX

Rechtsfolge

Die Leistungen werden entsprechend des festgestellten Bedarfes gewährt.

Vorrangig zuständige Leistungsträger

Der Träger der Eingliederungshilfe und der Träger der Jugendhilfe sind nachrrangig für die Erbringung von Rehabilitationsleistungen zuständig.

Andere Leistungsträger können vorrangig für die Erbringung von Leistungen zur medizinischen Rehabilitation zuständig sein.

Folgende Leistungsträger kommen in Betracht:

  • gesetzliche Krankenkasse
  • Träger der gesetzlichen Unfallversicherung
  • Träger der gesetzlichen Rentenversicherung
  • Träger der sozialen Entschädigung.