Florian Gerlach

Seminare zum „Recht der Sozialen Arbeit“

Evangelische Hochschule Bochum

Einführung in das Leistungsrecht der Eingliederungshilfe

Einführung

In diesem Abschnitt werden die Leistungen der Eingliederungshilfe erläutert.

Im Rahmen der Leistungserbringung nach dem SGB IX gelten die Regelungen unmittelbar. Im Kinder- und Jugendhilferecht finden sie über § 35a Abs. 3 SGB VIII Anwendung.

Dort heißt es: Aufgabe und Ziele der Hilfe, die Bestimmung des Personenkreises sowie Art und Form der Leistungen richten sich nach Kapitel 6 des Teils 1 des Neunten Buches sowie § 90 und den Kapiteln 3 bis 6 des Teils 2 des Neunten Buches, soweit diese Bestimmungen auch auf seelisch behinderte oder von einer solchen Behinderung bedrohte Personen Anwendung finden und sich aus diesem Buch nichts anderes ergibt.

Leistungen

Die Leistungen der Eingliederungshilfe umfassen folgende Leistungsgruppen:

  • Leistungen zur medizinischen Rehabilitation,
  • Leistungen zur Teilhabe am Arbeitsleben,
  • Leistungen zur Teilhabe an Bildung und
  • Leistungen zur Sozialen Teilhabe.

Lesen Sie: § 102 Abs. 1 SGB IX

Das Teilhaberecht kennt noch eine weitere Leistungsgruppe – die unterhaltssichernden und anderen ergänzenden Leistungen. Diese sind nicht Gegenstand der Eingliederungshilfe. Lediglich bei den Leistungen zur medizinischen Rehabilitation kommt ein Teil der ergänzenden Leistungen mittelbar zum Tragen.

In diesem Abschnitt wird erklärt,

  • welchen Inhalt die einzelnen Leistungen haben,
  • an welche Zielgruppe sich eine bestimmte Leistung richtet,
  • an welche spezifischen Voraussetzungen die jeweiligen Leistungen geknüpft sind
  • sowie welche Rechtsfolge eintritt, wenn eine Leistung durch den zuständigen Leistungsträger bewilligt wird.

Fragen der Zuständigkeit und des Verfahrens sind Gegenstand eigener Abschnitte, werden aber auch in diesem Abschnitt an geeigneter Stelle mitgedacht.

Leistungsträger und Leistungserbringer

Für die Erbringug von Eingliederungshilfeleistungen ist entweder der Träger der Eingliederungshilfe oder der Träger der Jugendhilfe zuständig. Die Zuständigkeit hängt von der Art der Behinderung ab. Der Leistungsträger ist dabei das zuständige Organ bzw. die zuständige Behörde, die die Leistung bewilligt und die Kosten für die Leistung trägt.

Vereinfacht lässt sich festhalten:

Der Träger der Eingliederungshilfe ist für Menschen mit körperlichen und geistigen Behinderungen zuständig.

Der Träger der Jugendhilfe ist für Kinder und Jugendliche sowie junge Erwachsene mit seelischen Behinderungen zuständig.

Der zuständige Leistungsträger kann die Leistung selbst erbringen (so insbesondere bei Beratungsleistungen), er kann sich jedoch auch Dritten bedienen.

Diese Dritten werden Leistungserbringer genannt. Die Leistungserbringer führen die Leistungen gegenüber der anspruchsberechtigten Person aus. Die entstehenden Kosten erstattet dann der Leistungsträger an den Leistungserbringer.

Leistungsformen

Leistungen der Eingliederungshilfe können auf unterschiedliche Art und Weise erbracht werden.

Sach-, Geld-, oder Dienstleistung

Die Leistungen der Eingliederungshilfe werden als Sach-, Geld- oder Dienstleistung erbracht.

Lesen Sie: § 105 Abs. 1 SGB IX

Dienstleistungen sind insbesondere Beratungs- und Unterstützungsleistungen in Fragen der Eingliederungshilfe sowie darüber hinaus auch in sonstigen sozialen Fragen.

Sachleistungen werden etwa durch Bereitstellung von Hilfsmitteln erbracht.

Geldleistungen sollen kostenfrei auf das Konto der leistungsberechtigten Person überwiesen werden.

Lesen Sie: § 47 Abs. 1 SGB I

Persönliches Budget

Auf Antrag der Leistungsberechtigten werden Leistungen zur Teilhabe durch die Leistungsform eines Persönlichen Budgets ausgeführt, um den Leistungsberechtigten in eigener Verantwortung ein möglichst selbstbestimmtes Leben zu ermöglichen. Dabei erhält die leistungsberechtigte Person einen bestimmten Betrag, in der Regel monatlich, der ihr frei zur Verfügung steht. Dabei kann die Person selbst entscheiden, welche Hilfen sie wann, wie und durch wen in Anspruch nehmen möchte. Bei der Ausführung des Persönlichen Budgets sind nach Maßgabe des individuell festgestellten Bedarfs die Rehabilitationsträger, die Pflegekassen und die Integrationsämter beteiligt. Das Persönliche Budget wird von den beteiligten Leistungsträgern trägerübergreifend als Komplexleistung erbracht.

Lesen Sie: § 29 SGB IX

Persönliche Budgets werden in der Regel als Geldleistung ausgeführt, bei laufenden Leistungen monatlich. In begründeten Fällen sind Gutscheine auszugeben. Mit der Auszahlung oder der Ausgabe von Gutscheinen an die Leistungsberechtigten gilt deren Anspruch gegen die beteiligten Leistungsträger insoweit als erfüllt. Das Bedarfsermittlungsverfahren für laufende Leistungen wird in der Regel im Abstand von zwei Jahren wiederholt. In begründeten Fällen kann davon abgewichen werden. Persönliche Budgets werden auf der Grundlage der nach Kapitel 4 getroffenen Feststellungen so bemessen, dass der individuell festgestellte Bedarf gedeckt wird und die erforderliche Beratung und Unterstützung erfolgen kann. Dabei soll die Höhe des Persönlichen Budgets die Kosten aller bisher individuell festgestellten Leistungen nicht überschreiten, die ohne das Persönliche Budget zu erbringen sind.

Pauschale Geldleistung

Einige Leistungen zur Sozialen Teilhabe können als pauschale Geldleistung erbracht werden. Hierzu ist die Zustimmung der leistungsberechtigten Person erforderlich. Die Träger der Eingliederungshilfe regeln das Nähere zur Höhe und Ausgestaltung der Pauschalen.

Lesen Sie: § 105 Abs. 3 SGB IX

Möglich ist dies bei:

  • Leistungen zur Assistenz zur Übernahme von Handlungen zur Alltagsbewältigung sowie Begleitung der Leistungsberechtigten,
  • Leistungen zur Förderung der Verständigung und
  • Leistungen zur Beförderung im Rahmen der Leistungen zur Mobilität.

Lesen Sie: § 116 Abs. 1 SGB IX

Bei den pauschalen Geldleistungen erhält die leistungsberechtigte Person einen pauschalen Geldbetrag, über den sie frei verfügen kann, um sich die begehrte Leistung zu beschaffen. Voraussetzung ist dennoch ein konkreter Bedarf.
Der Geldbetrag, den die leistungsberechtigte Person dann erhält, ist jedoch nicht, wie sonst bei den Eingliederungshilfeleistungen, abgestimmt auf die individuellen Verhältnisse der Person. Stattdessen legt der Leistungsträger eine Pauschale für die jeweiligen Leistungen fest, die sich nach den örtlichen Verhältnissen bemisst.

In der Kinder- und Jugendhilfe ist außerdem festgelegt, dass die Eingliederungshilfe in

  • ambulanter Form,
  • in Tageseinrichtungen,
  • durch geeignete Pflegepersonen und
  • in Einrichtungen über Tag und Nacht und in sonstigen Wohnformen

erbracht werden kann.

Lesen Sie: § 35 a Abs. 2 SGB VIII

Wunsch und Wahlrecht

Das Wunsch- und Wahlrecht ist gemeinsames Strukturprinzip sowohl des Eingliederungshilfeerechts als auch des Jungendhilferechts. Ziel ist es, die Hilfesuchenden und Ihre Familien aktiv in die Auswahl der Hilfen einzubinden, denn wer über die Gestaltung der Hilfe und den jeweiligen Leistungserbringer mitentscheiden darf, wird der Hilfe als solcher ein größeres Vertrauen entgegenbringen. Dieses Vertrauen ist eine unerlässliche Voraussetzung für den Erfolg einer Hilfemaßnahme. Die Subjektstellung der Berechtigten wird also gestärkt und insofern die Akzeptanz der Inanspruchnahme der Hilfe gefördert.

Die Regelungen zum Wunsch- und Wahlrecht sind im Eingliederungshilferecht und im Jugendhilferecht im Detail unterschiedlich ausgestaltet.

Wunsch und Wahlrecht im SGB IX

Wünschen der Leistungsberechtigten, die sich auf die Gestaltung der Leistung richten, ist zu entsprechen, soweit sie angemessen sind.

Die Wünsche der Leistungsberechtigten gelten nicht als angemessen,

  1. wenn und soweit die Höhe der Kosten der gewünschten Leistung die Höhe der Kosten für eine vergleichbare Leistung von Leistungserbringern unverhältnismäßig übersteigt und
  2. wenn der Bedarf nach der Besonderheit des Einzelfalles durch die vergleichbare Leistung gedeckt werden kann.

Lesen Sie: § 104 Abs. 2 SGB IX

Bei der Entscheidung über die Wünsche ist zunächst die Zumutbarkeit einer von den Wünschen des Leistungsberechtigten abweichenden Leistung zu prüfen. Dabei sind die persönlichen, familiären und örtlichen Umstände einschließlich der gewünschten Wohnform angemessen zu berücksichtigen. Kommt danach ein Wohnen außerhalb von besonderen Wohnformen in Betracht, ist dieser Wohnform der Vorzug zu geben, wenn dies von der leistungsberechtigten Person gewünscht wird. Soweit die leistungsberechtigte Person dies wünscht, sind in diesem Fall die im Zusammenhang mit dem Wohnen stehenden Assistenzleistungen nach § 113 Absatz 2 Nummer 2 im Bereich der Gestaltung sozialer Beziehungen und der persönlichen Lebensplanung nicht gemeinsam zu erbringen nach § 116 Absatz 2 Nummer 1. Bei Unzumutbarkeit einer abweichenden Leistungsgestaltung ist ein Kostenvergleich nicht vorzunehmen.

Lesen Sie: § 104 Abs. 3 SGB IX

Wunsch- und Wahlrecht im SGB VIII

Leistungsberechtigten nach dem SGB VIII haben das Recht, zwischen Einrichtungen und Diensten verschiedener Träger zu wählen und Wünsche hinsichtlich der Gestaltung der Hilfe zu äußern. Sie sind auf dieses Wunsch- und Wahlrecht inzuweisen. Der Wahl und den Wünschen soll entsprochen werden, sofern dies nicht mit unverhältnismäßigen Mehrkosten verbunden ist.

Lesen Sie: § 5 Abs. 1 SGB VIII

Beschränkungen des Wahlrechts

Das Wahlrecht ist in doppelter Hinsicht beschränkt:

  • Zum einen dürfen keine unverhältnismäßgen Mehrkosten entstehen.
  • Wenn es um stationäre oder teilstationäre Maßnahmen geht, ist das Wahlrecht darüber hinaus grundsätzlich auf Einrichtungen beschränkt, mit denen einen Jugendamt eine Leistungs-, Entgelt- und Qualitätsentwicklungsvereinbarung abgeschlossen hat.

Lesen Sie: § 5 Abs. 2 SGB VIII

Unverhältnismäßige Mehrkosten

Der Wahl und den Wünschen des Leistungsberechtigten ist nicht zu folgen, wenn dadurch unverhältnismäßige Mehrkosten entstehen.

Die Rechtsprechung geht davon aus, dass es keine starre Grenze für die Feststellung der Unverhältnismäßigkeit gibt. Das Bundesverwaltungsgericht verlangt eine wertende Betrachtung.

Vgl.: Bundesverwaltungsgericht, Beschluss vom 18. August 2003, Aktenzeichen 5 B 14/03

Zum Teil wird mit einer 20%-Grenze argumentiert.

Das Verwaltungsgreicht LeipzigUrteil vom 22.11.2007, Aktenzeichen 5 K 1733/05 –, Rn. 43 hält diesen Maßstab für „akzeptabel“ (Bezahlschranke, freier Link leider nicht verfügbar).

Ein Wahlrecht kann es nur geben, wenn zwei oder mehr Angebote geeignet sind, den Bedarf des oder der Leistungsberechtigten zu decken. Leistungsangebote, die nicht bedarfsdeckend sind, scheiden aus dem Kreis der zu wählenden Einrichtungen aus. Verursacht ein Angebot zwar deutlich geringere Kosten, ist es aber nicht geeignet den Bedarf des oder der Leistungsberechtigten zu decken, ist es beim Wunsch- und Wahlrecht nicht zu berücksichtigten. Die Frage, ob ein Angebot bedarfsdeckend ist oder nicht, ist eine fachlich inhaltliche Frage und keine Frage von Mehrkosten.

Gebundene Entscheidung und Ermessen

Bei der Entscheidung, ob und wie die Behörde Eingliederungshilfeleistungen erbringt, unterliegt sie entweder einer gebundenen Entscheidung oder ihr steht ein Ermessen zu.

Im SGB XI gilt:

Im Falle einer gebundenen Entscheidung muss die Behörde – sofern die Voraussetzungen vorliegen – die entsprechenden Leistungen der Eingliederungshilfe erbringen. Dies ist immer dann der Fall, wenn der Leistungsempfänger durch seine Behinderung wesentlich an der gesellschaftlichen Teilhabe eingeschränkt ist (wesentliche Behinderung).

Lesen Sie: § 99 Abs. 1 S. 1 SGB IX

Handelt es sich hingegen nicht um eine wesentliche Behinderung, so kann die Behörde Eingliederungshilfeleistungen erbringen, muss dies aber nicht. Ihr steht ein Ermessen zu, ob und wie sie die Leistungen erbringt.

Lesen Sie: § 99 Abs. 3 SGB IX

Bei der Ermessensausübung darf die Behörde keine Ermessensfehler begehen. Das bedeutet, sie muss ihr Ermessen nach bestimmten Regeln ausüben.

Zu den Ermessenfehlern gehören:

  • der Ermessensausfall – die Behörde vergisst, dass sie Ermessen hat (z.B.: Behörde denkt, sie darf keine Leistungen erbringen, obwohl ihr ein Ermessen zusteht),
  • die Ermessensunterschreitung – die Behörde lässt relevante Gesichtspunkte bei der Ermessensentscheidung außer Betracht (z.B.: die Behörde vergisst zu berücksichtigen, dass die behinderte Person an einer chronischen Krankheit leidet),
  • die Ermessensüberschreitung – die Behörde trifft nach Ermessensausübung eine Entscheidung, die nicht von der Norm gedeckt ist (z.B.: die Behörde gewährt auch Empfängern von Asylbewerberleistungen EIngliederungshilfe, obwohl dies nach § 100 Abs. 2 SGB IX ausgeschlossen ist).
  • Ermessensfehlgebrauch – die Behörde stellt sachfremde Erwägungen an (z.B.: die Behörde lehnt Leistungen der Eingliederungshilfe ab, weil die Anspruchstellerin Mitglied der AFD ist)

Praxistipp: Personen, die keine wesentliche Behinderung haben, sollten immer dann einen Antrag auf Eingliederungshilfeleistungen stellen, wenn sie in der gesellschaftlichen Teilhabe eingeschränkt sind.

Ein Ermessen steht der Behörde darüber hinaus auch dann zu, wenn der Anspruchsteller Ausländer ist und die Erbringung von Leistungen der Eingliederunngshilfe im Einzelfall gerechtfertigt ist.

Lesen Sie: § 100 Abs. 1 S. 1 SGB IX

Nach dem SGB VIII gilt:

Im Kinder- und Jugendhilferecht hat die Behörde bei Vorliegen der Voraussetzungen eine gebundene Entscheidung zu treffen.

Lesen Sie: § 35 a SGB IX

Beginn der Leistungserbringung

Die Leistungen werden frühestens ab dem Ersten des Monats der Antragstellung erbracht, wenn zu diesem Zeitpunkt die Voraussetzungen bereits vorlagen.

Lesen Sie: § 108 Abs. 1 S. 1 SGB IX