Möchte eine Person Teilhabeleistungen beantragen, steht sie vor der Frage, an welche Behörde sie ihren Antrag richten muss. Hat sie einmal herausgefunden, welche Behörde sachlich zuständig ist, ist als nächstes zu klären, welche Behörde örtlich zuständig ist. Die örtliche Zuständigkeit beschreibt den räumlichen Tätigkeitsbereich einer Behörde.
Beispiel:
Frau Rochlitz wohnt mit ihrer 3-Jährigen Tochter in Berlin-Tempelhof und möchte wegen der Behinderung ihrer Tochter Annika Rochlitz Leistungen zur Sozialen Teilhabe beantragen. Sie fragt sich, wo sie den Antrag einreichen muss.
Die örtliche Zuständigkeit für Leistungen der Eingliederungshilfe nach dem SGB IX ist in § 98 SGB IX geregelt. Nach dieser Vorschrift richtet sich die örtliche Zuständigkeit, wenn die sachliche Zuständigkeit beim Träger der Eingliederungshilfe liegt.
Danach ist zwischen zwei Anknüpfungspunkten zu unterscheiden:
Grundsätzlich ist der Träger der Eingliederungshilfe örtlich zuständig, in dessen Bereich die leistungsberechtigte Person ihren gewöhnlichen Aufenthalt zum Zeitpunkt der ersten Antragstellung nach § 108 Abs. 1 SGB IX hat oder in den zwei Monaten vor den Leistungen einer Betreuung über Tag und Nacht zuletzt gehabt hatte.
Lesen Sie: § 98 Abs. 1 S. 1 SGB IX
Was der gewöhnliche Aufenthalt einer Person ist, ist in § 30 Abs. 3 S. 2 SGB IX geregelt.
Dort heißt es:
„Den gewöhnlichen Aufenthalt hat jemand dort, wo er sich unter Umständen aufhält, die erkennen lassen, daß er an diesem Ort oder in diesem Gebiet nicht nur vorübergehend verweilt.“
Es muss danach ein nicht nur vorübergehender Aufenthalt an einem bestimmten Ort bestehen. „Nicht nur vorübergehend“ enthält eine zeitliche Komponente, im Sinne einer gewissen Verweildauer. Eine feste zeitliche Vorgabe gibt es jedoch nicht. Es kommt auf die Umstände des Einzelfalles an. Ein nicht nur vorübergehender Aufenthalt kann in einer Wohnung bestehen. Aber auch obdachlose Menschen können einen gewöhnlichen Aufenthalt haben, wenn sie für einige Zeit am selben Ort verweilen.
Im obigen Beispiel
ergibt sich aufgrund des Wohnsitzes von Annika Rochlitz, der ihren gewöhnlichen Aufenthaltsort darstellt, eine Zuständigkeit des Bezirksamts Tempelhof-Schöneberg, Amt für Soziales, sofern es um Eingliederungshilfe nach dem SGB IX geht.
Selbst ein unfreiwilliger Aufenthalt kann grundsätzlich einen gewöhnlichen Aufenthaltsort begründen. Allerdings schließt § 98 Abs. 4 SGB IX dies für stationäre Aufenthalte und Aufenthalte aufrund richterlicher Anordnung in einer Vollzugsanstalt aus. Solche Aufenthalte gelten nach der Vorschrift als lediglich vorübergehende. Heranzuziehen ist dann der gewöhnliche Aufenthalt den die Person in den letzten zwei Monaten vor der Aufnahme zuletzt hatte.
Für den Zeitpunkt der Antragsstellung kommt es wegen der Vorschriften zur Zuständigkeitsklärung des § 14 SGB IX nicht darauf an, dass der Antrag an den richtigen Träger der Eingliederungshilfe gestellt wurde. Ein Antrag an irgendeinen Eingliederungshilfeträger genügt.
Bedarf es nach § 108 Abs. 2 SGB IX keines Antrags, ist der Beginn des Gesamtplanverfahrens maßgeblich, § 98 Abs. 1 S. 2 SGB IX.
Diese Zuständigkeit bleibt bis zur Beendigung des Leistungsbezuges bestehen.
Sie ist neu festzustellen, wenn für einen zusammenhängenden Zeitraum von mindestens sechs Monaten keine Leistungen bezogen wurden. Eine Unterbrechung des Leistungsbezuges wegen stationärer Krankenhausbehandlung oder medizinischer Rehabilitation gilt nicht als Beendigung des Leistungsbezuges.
Lesen Sie: § 98 Abs. 1 S. 3-5 SGB IX
Für Kinder, die ab dem Zeitpunkt ihrer Geburt Eingliederungshilfeleistungen über Tag und Nacht beziehen wollen, gilt anstelle des gewöhnlichen Aufenthaltes des Kindes der gewöhnliche Aufenthalt der Mutter.
Lesen Sie: § 98 Abs. 3 SGB IX
An den tatsächlichen Aufenthalt ist anzuknüpfen, wenn der gewöhnliche Aufenthalt
Lesen Sie: § 98 Abs. 2 SGB IX
Die Regelung des § 98 Abs. 2 S. 3 SGB IX stellt eine ergänzende Vorschrift zu § 14 SGB IX dar. Sie wurde für die Fälle geschaffen, in denen der Träger am tatsächlichen Aufenthalt angegangen wurde und nicht innerhalb der Zwei-Wochen-Frist des § 14 SGB IX feststellen kann, wo sich der gewöhnliche Aufenthalt befindet beziehungsweise, ob ein solcher vorhanden ist.
Lesen Sie: § 98 Abs. 2 S. 1 SGB IX
Beispiel:
Tim Lehngut (22) ist körperlich behindert und wohnungslos. Er beantragt beim Bezirksamt Friedrichshain-Kreuzberg, Amt für Soziales, eine Gehhilfe als Leistung der sozialen Teilhabe. Das Sozialamt prüft seine Zuständigkeit, kann jedoch keine Informationen über einen Wohnsitz oder sonstigen gewöhnlichen Aufenthalt ermitteln. Nachdem sieben Wochen später nach wie vor kein gewöhnlicher Aufethalt feststeht und das Bezirksamt Friedrichshain-Kreuzberg, Amt für Soziales, einen Leistungsanspruch festgestellt hat, gewährt es Herrn Lehngut vorläufige Leistungen. Hierfür ist es als am tatsächlichen Aufenthaltsort örtlich zuständiger Träger verpflichtet.
Lesen Sie: § 98 Abs. 2 S. 2 SGB IX
Im obigen Beispiel
stellt sich nach einem halben Jahr heraus, dass Herr Lehngut sich doch regelmäßig bei einem Bekannten in Berlin Lichtenberg aufgehalten hat. Bei diesem konnte er regelmäßig auf dem Sofa übernachten und seine Sachen lagern, weshalb er sich mehrmals in der Woche dort aufhielt. Damit steht ein gewöhlicher Aufenthalt fest und die Zuständigkeit geht auf das Bezirksamt Lichtenberg, Amt für Soziales über. Dem Bezirksamt Friedrichshain-Kreuzberg steht ein Erstattungsanspruch gegenüber dem Bezirksamt Lichtenberg zu.
Lesen Sie: § 98 Abs. 2 S. 3 SGB IX
§ 98 Abs. 5 SGB IX regelt die Zuständigkeit für Personen, die nach dem alten Leistungsrecht Leistungen bezogen haben. Für sie bleibt die bisherige Zuständigkeit bestehen, es sei denn die Zuständigkeit ist nach § 98 Abs. 1 S. 3-5 SGB IX neu festzustellen.
Die örtliche Zuständigkeit für Leistungen der Eingliederungshilfe nach dem SGB VIII für Kinder und Jugendliche ist in § 86 SGB VIII geregelt. Für Junge Erwachsene treten die Regelungen des § 87 SGB VIII hinzu.
Im SGB VIII ist die Zuständigkeit deutlich komplexer geregelt, als im SGB IX. Das hängt damit zusammen, dass das Eingliederungshilferecht nach dem SGB IX auf den gewöhnlichen Aufenthaltsort der leistungsberechtigten Person abstellt. Im Recht der öffentlichen Jugendhilfe wird hingegen grundsätzlich auf die Eltern abgestellt. Dies führt zu einer Vielzahl von Konstellationen, etwa wenn ein Kind nur ein Eltenteil hat, das Sorgerecht unterschiedlich aufgeteilt ist oder Pflegeeltern vorhanden sind.
Im Einzelnen:
1. Gewöhnlicher Aufenthalt der Eltern oder eines Elternteils
Dem Grundsatz nach gilt: Für Leistungen nach dem SGB VIII ist der örtliche Träger zuständig, in dessen Bereich die Eltern ihren gewöhnlichen Aufenthalt haben. Dies setzt voraus, dass die Eltern einen gemeinsamen gewöhnlichen Aufenthaltsort haben.
Was der gewöhnliche Aufenthalt einer Person ist, ist in § 30 Abs. 3 S. 2 SGB IX geregelt (siehe oben).
Zur Erinnerung: Den gewöhnlichen Aufenthalt hat jemand dort, wo er sich unter Umständen aufhält, die erkennen lassen, daß er an diesem Ort oder in diesem Gebiet nicht nur vorübergehend verweilt.
Beispiel:
Giesela Meikamp und Thorsten Meikamp leben gemeinsam mit ihrer seelisch behinderten Tochter in Berlin Neukölln. Die Tochter wird demnächst eingeschult und soll eine Schulassistenz bekommen. Aufrgund des Wohnsitzes der Eltern in Neukölln, der den gewöhnlichen Aufenthalt darstellt, ist das Bezirksamt Neukölln als Träger der öffentlichen Jugendhilfe für den Antrag örtlich zuständig.
Ändert sich der gewöhnliche Aufenthalt der Eltern, so geht die örtliche Zuständigkeit entsprechend auf einen anderen Träger über.
Wenn und solange die Vaterschaft nicht anerkannt oder gerichtlich festgestellt ist, ist der gewöhnliche Aufenthalt der Mutter maßgeblich.
Lebt nur ein Elternteil, so ist dessen gewöhnlicher Aufenthalt maßgebend.
Lesen Sie: § 86 Abs. 1 SGB VIII
2. Verschiedene gewöhnliche Aufenthaltsorte der Elternteile
Nicht immer besteht ein gemeinsamer Aufenthaltsort beider Eltern. Dann ist die örtliche Zuständikei in folgender Reihenfolge zu bestimmen:
Beispiel:
Eva Müller und John Walker sind Eltern und gemeinsam Sorgeberechtigte der 17-jährigen Lina Müller. Sie leben getrennt, Frau Müller lebt mit ihrer Tochter in Berlin Charlottenburg, Herr Wehlage lebt in Potsdam und besucht seine Tochter wöchentlich. Lina Müller ist seelisch behindert und benötigt Leistungen zur Teilhabe an Bildung. Zuständig für den Antrag ist das Bezirksamt in Berlin Charlottenburg-Wilmersdorf als Träger der öffentlichen Jugendhilfe.
Lesen Sie: § 86 Abs. 2 und 3 SGB VIII
3. Fehlender gewöhnlicher Aufethalt der Eltern oder des Elternteils
Haben die Eltern oder der maßgebliche Elternteil im Inland keinen gewöhnlichen Aufenthalt, oder ist ein gewöhnlicher Aufenthalt nicht feststellbar, oder sind sie verstorben, so richtet sich die Zuständigkeit nach dem gewöhnlichen Aufenthalt des Kindes oder des Jugendlichen vor Beginn der Leistung.
Fehlt ein gewöhnlicher Aufenthalt des Kindes oder Jugendlichen, so ist sein letzter tatsächlicher Aufenthalt maßgeblich.
Lesen Sie: § 86 Abs. 4 SGB VIII
4. Verschiedene gewöhnliche Aufenthalte nach Leistungsbeginn
Es kann vorkommen, dass eine örtliche Zuständigkeit zunächst über den gemeinsamen gewöhnlichen Aufenthalt entsteht, die Eltern jedoch nach Beginn der Leistungen verschiedene gewöhnliche Auenthaltsorte begründen.
Dann kommt es wie nach Absatz 2 auf den personensorgeberechtigten Elternteil an. Bei gemeinsamem oder beiden Elternteilen fehlendem Sorgerecht bleibt die bisherige Zuständigkeit bestehen. Ansonsten kommt Absatz 4 zur Anwendung.
Lesen Sie: § 86 Abs. 5 SGB VIII
Beispiel:
Fatma und Zafer Yilmaz wurden für ihre seelisch behinderte Tochter Leistungen zur Teilhabe an Bildung gewährt. Der Antrag wurde vom am Wohnsitz der Eltern zuständigen Bezirksamt Treptow-Köpenik als Träger der öffentlichen Jugendhilfe bewilligt. Nach der Scheidung der Eltern verliert Herr Yilmaz das Sorgerecht und die Mutter zieht mit ihrer Tochter nach Berlin Mitte. Aufgrund des alleinigen Sorgerechts der Mutter und des gewöhnlichen Aufenthalts der Mutter in Mitte wird das Bezirksamt Berlin Mitte als Träger der öffentlichen Jugendhilfe für die Gewährung der Leistung zuständig.
5. Gewöhnlicher Aufenthalt der Pflegeperson
Lebt ein Kind oder ein Jugendlicher zwei Jahre bei einer Pflegeperson und ist sein Verbleib bei dieser Pflegeperson auf Dauer zu erwarten, so kommt es auf den gewöhnlichen Aufenthalt der Pflegeperson an.
Der zuständige Träger hat die Eltern und, falls den Eltern die Personensorge nicht oder nur teilweise zusteht, den Personensorgeberechtigten über den Wechsel der Zuständigkeit zu unterrichten. Endet der Aufenthalt bei der Pflegeperson, so endet die an sie anknüpfende Zuständigkeit.
Lesen Sie: § 86 Abs. 6 SGB VIII
6. Asylsuchende Kinder und Jugendliche
Für Leistungen an Kinder oder Jugendliche, die um Asyl nachsuchen oder einen Asylantrag gestellt haben, gelten Sonderregelungen.
Lesen Sie: § 86 Abs. 7 SGB VIII
Für die örtliche Zuständigkeit für Leistungen an junge Volljährige gelten Sonderregeln. Sie sind in § 86a SGB VIII geregelt. Da es sich um Volljährige handelt, knüpft das Gesetz nicht mehr an die Eltern oder Sorgeberechtigten, sondern an die leistungsberechtigte Person selber an.
Für Leistungen an junge Volljährige ist daher der örtliche Träger zuständig, in dessen Bereich der junge Volljährige vor Beginn der Leistung seinen gewöhnlichen Aufenthalt hat.
Lesen Sie: § 86a Abs. 1 SGB IX
Bei Aufenthalt in einer Einrichtung oder sonstigen Wohnform, die der Erziehung, Pflege, Betreuung, Behandlung oder dem Strafvollzug dient, ist der gewöhnlichen Aufenthalt vor der Aufnahme in die Einrichtung maßgeblich (Absatz 2).
Bei fehlendem gewöhnlichem Aufenthalt wird auf den tatsächlichen Aufenthalt abgestellt (Absatz 3).
Geht der Hilfe für junge Volljährige eine Leistung der Eingliederungshilfe nach § 35a SGB VIII voraus, hat der junge Volljährge also schon zuvor Eingliederungshilfeleistungen erhalten, so bleibt der bisherige Träger örtlich zuständig. Eine Unterbrechung der Hilfeleistung von bis zu drei Monaten bleibt dabei außer Betracht. Entsprechendes gilt auch dann, wenn eine Hilfe für junge Volljährige beendet war und innerhalb von drei Monaten erneut erforderlich wird (Absatz 3).
Im Folgenden finden Sie eine Übersicht über die Vorschriften, in denen die örtliche Zuständigkeit der sonstigen Rehabilitationsträger geregelt ist.
Rehabilitationsträger | Örtliche Zuständigkeit |
---|---|
Träger der gesetzlichen Krankenkasse | § 173 SGB V |
Bundesagentur für Arbeit | § 36 SGB II und § 327 SGB III |
Träger der gesetzlichen Unfallversicherung | §§ 130 ff. SGB VII |
Träger der gesetzlichen Rentenversicherung | § 128 SGB VI |
Träger der sozialen Entschädigung | § 77 SGB XIV (ab 2024) |