Im Haftungsrecht geht es darum, Menschen, die ein fremdes Rechtsgut geschädigt haben, für ihr Tun durch die Verpflichtung zu Schadensersatz oder Schmerzensgeld zur Verantwortung zu ziehen. Das Haftungsrecht wird auch als „Deliktsrecht“ oder „Recht der unerlaubten Handlungen“ bezeichnet.
Beispiel: Frau Rochlitz hatte einen Autounfall. Herr Keuner hatte ihr aus Unachsamkeit an einer „rechts vor links“ Kreuzung die Vorfahrt genommen. Ihr VW Golf wurde stark beschädigt. Sie verlangt von Herrn Keuner Schadensersatz. Sie will die Reparaturkosten ersetzt bekommen.
Das Haftungsrecht weist eine große Parallele zum Strafrecht auf: In beiden Rechtsgebieten geht es um die Sanktion verbotenen („unerlaubten“) Verhaltens. Im Strafrecht geht es um Sanktion durch staatliche Strafe, im Haftungsrecht dagegen um den „zivilen“ Schadensausgleich, also den Schadensausgleich zwischen Bürgern (Zivis = Bürger). Die Begrifflichkeiten und die Systematik beider Bereiche weisen Parallelen auf – so wird zum Beispiel auch im zivilen Schadensersatzrecht das Wort „Täter“ genutzt, für denjenigen, der einen anderen geschädigt hat. Begriffe etwa wie „Fahrlässigkeit“, „Vorsatz“, „Rechtswidrigkeit“ (vgl. § 823 BGB) und „Mittäterschaft“ (vgl. § 830 BGB) sind Kategorien, die den meisten aus dem Strafrecht bekannt sind.
Im Bereich der Kindererziehung und auch in vielen Bereichen der Sozialen Arbeit hat man es mit Menschen zu tun, die nur in beschränktem Maße verantwortlich für ihr eigenes Tun sind. Kinder, Menschen mit geistigen Behinderungen, Menschen mit Demenz, etc.; alle haben gemein, dass sie in ihrem Umgang mit ihrer Umwelt Schäden anrichten können. Nahezu alle Haftungsfragen in diesen Bereichen drehen sich um zwei Fragen:
Der Begriff „Haftung“ ist juristisch besetzt für den Bereich der §§ 823 – 853 BGB. Er meint das „Einstehen müssen“ für Schäden anderer. Im Strafrecht sprechen die Juristen nicht von Haftung, sondern von „strafrechtlicher Verantwortlichkeit“. Wenn es um die Fähigkeit geht, wirksame Willenserklärungen abgeben zu können oder um die Frage, ob Minderjährige in Folge abgegebener Willenserklärungen aus Verträgen in Anspruch genommen werden können, spricht man von „Geschäftsfähigkeit“ und ebenfalls nicht von Haftung. „Haftung“, „Geschäftsfähigkeit“ und „strafrechtliche Verantwortlichkeit“ sind daher Kategorien, die sorgsam auseinandergehalten werden müssen.
§ 823 BGB ist die Grundnorm des Haftungsrechtes. Sie regelt, was jeder weiß: „Wer einen anderen schädigt, muss zahlen“.
Lies: § 823 Absatz 1 BGB
§ 823 BGB beginnt mit dem Wort „Wer“ – Wer ein Recht eines anderen verletzt. Mit dem Tatbestandsmerkmal „Wer“ wird die schädigende Person, der „Täter“, bezeichnet.
Der Täter muss vorsätzlich oder fahrlässig gehandelt haben. Vorsätzlich ist ein Handeln dann, wenn der Täter den Schaden des anderen will oder zumindest billigend in Kauf nimmt. Fahrlässig handelt der Täter, wenn er die im Verkehr erforderliche Sorgfalt außer Acht lässt.
Lies: § 276 BGB.
Es geht um den Rechtsverkehr – hier sollen die Menschen sich so verhalten, wie es „gesellschaftlich üblich“ ist. Bei der Anwendung dieser Regel spielen daher auch gesellschaftliche Konventionen, aber auch untergesetzliche Regeln, Richtlinien, Normen (DIN), fachliche Standards (Regeln der ärztlichen Heilkunst, fachliche Standards zum Schutz vor Kindswohlgefährdung, etc.) eine Rolle. Ob der Täter fahrlässig gehandelt hat, wird nach objektiven Maßstäben beurteilt. Gefragt wird also, wie ein „besonnener Dritter“ in der entsprechenden Situation gehandelt hätte. Es kommt deshalb an dieser Stelle der Prüfung noch nicht darauf an, ob der Täter (z.B. wg. Minderjährigkeit) nicht hinreichend einsichtsfähig war.
Es muss das Leben, der Körper, die Gesundheit, die Freiheit, das Eigentum oder ein sonstiges Recht verletzt worden sein.
Die in dieser Aufzählung genannten Punkte, werden als „absolute Rechtsgüter“ bezeichnet. In der Praxis steht die Verletzung von Eigentum, Gesundheit und Körper im Vordergrund.
Der Täter muss das Recht eines anderen verletzt haben. Hier wird die verletzte Person, das „Opfer“, bezeichnet.
Die Verletzungshandlung muss widerrechtlich gewesen sein. Widerrechtlich ist die Verletzung eines absoluten Rechtsgutes immer dann, wenn es nicht durch Rechtfertigungsgründe gerechtfertigt ist. Die wichtigsten Rechtfertigungsgründe sind die Einwilligung (zum Beispiel in den ärztlichen Heileingriff oder in die Weitergabe von Daten), die Notwehr oder die Nothilfe.
Der Täter muss das Opfer verletzt haben. Der Täter muss also eine Verletzungshandlung begangen haben. Unter bestimmten Voraussetzungen kann der Täter auch für Nichtstun, also für Unterlassen haften. Siehe dazu unten unter „Garantenstellung“.
Wer einen anderen in der beschriebenen Weise verletzt, ist zum Ersatz des daraus entstandenen Schadens verpflichtet.
Art und Umfang des Schadensersatzes sind nicht in den §§ 823 – 853 BGB (unerlaubte Handlungen), sondern im **allgemeinen Teil des Schuldrechts geregelt.
Danach schuldet der Gläubiger (hier also der Täter) Wiederherstellung des vorherigen Zustandes (sog. Naturalrestitution).
Lies: § 249 BGB
Der Geschädigte kann bei Verletzung einer Person oder Sache nach seiner Wahl auch Schadensersatz in Geld verlangen. Diese Variante ist die übliche und verbreitete. Ein Schaden wird durch Saldierung der geldwerten Positionen des Geschädigten vor und nach dem schädigenden Ereignis ermittelt. Nur wenn der Geschädigte hinterher weniger als vorher hat, liegt ein (echter) Schaden vor.
Beispiel: Wert eines PKW vor dem Unfall 10.000 €, danach 1.000,- €, Schaden = 9.000 €; aber auch: Schaden durch Körperverletzung führt zu dauerhafter Erwerbsminderung von X-%. (fiktive) Berechnung der Einkommensminderung um X-% multipliziert mit den zu erwartenden Jahren der Erwerbsminderung = Schaden.
Schmerzensgeld ist eine Sonderform des Schadensersatzes. Geht es um Ausgleich in Form von Schmerzensgeld, liegt insoweit kein echter Schaden vor. „Schmerz“ ist schließlich nichts wert und führt auch nicht ohne Weiteres zu einer Vermögens- oder Erwerbsminderung. Der Gesetzgeber spricht deshalb auch von einem sogenannten „immateriellen Schaden“
Lies: § 253 Absatz 1 BGB
Für solche immateriellen Schäden kann Schadensersatz nur verlangt werden, wenn dies durch Gesetz ausdrücklich vorgesehen ist. Dies ist bei Schadensersatzansprüchen, die eine Verletzung des Körpers, der Gesundheit, der Freiheit oder der sexuellen Selbstbestimmung betreffen, der Fall.
Lies: § 253 Absatz 2 BGB
Die Juristen orientieren sich hinsichtlich der Höhe der Schmerzensgelder an sogenannten Schmerzensgeldtabellen (die bekannteste: Hacks/Wellner/Häcker/Offenloch, Schwerzensgeldbeträge). Dort sind für bestimmte Schadensgruppen (Arm, Auge, Polytrauma, etc.) Richtwerte festgelegt. Oft wird Schmerzensgeld neben dem echten Schaden gezahlt.
Beispiel: Frau Rochlitz verursacht mit ihrem Auto einen Unfall mit der Radfahrerin Frau Clausing. Diese hat einen Schaden am Fahrrad und einen gebrochenen Arm. Frau Rochlitz muss nach § 249 Absatz 2 BGB Schadensersatz in Geld für das Fahrrad und Schmerzensgeld nach § 253 Absatz 2 BGB wegen des gebrochenen Arms zahlen.
Haftung setzt persönliche Verantwortlichkeit voraus. Wer aufgrund seines geistigen Zustandes oder seiner intellektuellen Reife nicht oder noch nicht einsehen kann, was er tut bzw. was er damit tut, haftet nicht.
Bestimmte Personengruppen (z.B. Kinder unter 7 Jahren) werden gänzlich von der Haftung ausgeschlossen, weil bei ihnen unwiderlegbar vermutet wird, dass ihnen die Einsicht in die Geschehensabläufe und auch die Einsicht in das Unrecht ihrer Tat fehlen. Bei anderen wird die Haftung davon abhängig gemacht, ob sie im Einzelfall das Unrecht ihrer Tat einsehen konnten.
Bsp.: Der 7-jährige Claas verletzt seinen Klassenkameraden versehentlich durch einen Schuss mit einer Zwille am Auge. Class hat fahrlässig gehandelt, weil die im Verkehr erforderliche Sorgfalt (§ 276 Abs.2 BGB) es objektiv gebietet, nicht mit Zwillen auf Menschen zu schießen. Class konnte aber als 7-jähriger die Folgen seines Handelns nicht richtig einschätzen. Ihm fehlt die Einsichtsfähigkeit. Er haftet deshalb nicht.
Die Haftung kann ausgeschlossen sein, wenn sich die handelnde Person zum Zeitpunkt der Tat „in einem die freie Willensbestimmung ausschließenden Zustand krankhafter Störung der Geistestätigkeit“ befand. Gemeint sind hier vor allem Beeinträchtigungen aufgrund von geistigen Behinderungen oder psychischen Störungen.
Befinden sich Personen in dieser Lage, haften sie nicht.
Lies: § 827 BGB
Ob Minderjährige haften, hängt von ihrem Alter ab. Die Haftung Minderjähriger ist nach Altersgruppen gestaffelt:
Wer das siebente Lebensjahr noch nicht vollendet hat (das hat man am Tag des 7. Geburtstags), haftet nicht. Es besteht eine Parallele zum Minderjährigenrecht, wonach Willenserklärungen von unter 7-jährigen „nichtig“ sind (vgl. §§ 104, 105 BGB).
Lies: § 828 Absatz 1 BGB
Minderjährige, die mindestes sieben Jahre, aber noch nicht 18 Jahre alt sind, haften nur, wenn sie „einsichtsfähig“ sind. Die Fähigkeit zur Einsicht muss sich dabei sowohl auf die Geschehensabläufe, welche ihre Handlung in Gang setzt, als auch auf die normative Bewertung ihres Verhaltens als Verbotenes beziehen. Die Minderjährigen müssen also wissen , was sie tun und auch wissen, was sie damit tun; sie müssen also eine Vorstellung vom „Verbotensein“ ihrer Tat haben.
Lies: § 828 Absatz 3 BGB
Im Bereich des Straßenverkehrs (und auch bei anderen Verkehrsunfällen) geht der Gesetzgeber davon aus, dass Minderjährigen die erforderliche Einsichtsfähigkeit fehlt, solange sie das 10. Lebensjahr noch nicht vollendet haben. Bis zur Vollendung des 10. Lebensjahres haften Minderjährige daher für solche Schäden nicht, auch wenn sie von ihnen widerrechtlich und schuldhaft verursacht wurden.
Lies: § 828 Absatz 2 BGB
Soweit die Haftung eines Minderjährigen wegen Unterschreitens der Altersgrenze oder wegen fehlender Einsichtsfähigkeit ausgeschlossen ist, bleibt der Geschädigte – sofern nicht die Haftung eines Aufsichtspflichtigen greift (s.u.) – auf seinem Schaden sitzen. Hinter diesem Prinzip steckt die Wertung, dass die Schäden, welche durch nicht einsichtsfähige Minderjährige verursacht werden, letztlich vom jeweils Geschädigten und damit potentiell von jedermann hinzunehmen sind. Lies: § 828 Absatz 2 BGB
§ 831 BGB befasst sich mit der Haftung desjenigen, der sich zur Erfüllung seiner Aufgaben anderer bedient. Grundsätzlich haftet derjenige, der einen anderen zu einer Verrichtung bestellt, wenn der andere einem Dritten widerrechtlich einen Schaden zufügt.
Lies: § 831 Absatz 1 BGB
In der Regel geht es bei diesem Paragrafen um die Frage, ob der Arbeitgeber haftet, wenn der Arbeitnehmer einen anderen verletzt?
Beispiele:
Der Kranführer Billinger ist bei der Firma Hopfen Holzbau GmbH beschäftigt. Eines Tages stürzt bei der Errichtung eines Holzhauses ein großer Holzbalken auf den PKW des Nachbarn Scheuritz. Der PKW hat einen Totalschaden und hatte einen Wert von 50.000,- €. Nachbar Scheuritz kann nach § 823 Absatz 1 BGB Schadensersatz vom Kranführer Billinger verlangen. Kranführer Billinger verdient aber als Kranführer nicht viel und hat keine 50.000,- €. Deshalb fragt sich Nachbar Scheuritz, ob er den Schaden nicht vom Arbeitgeber des Kranführers Billinger, der Firma Hopfen Holzbau GmbH, ersetzt verlangen kann.
Die Sanicare Krankenhaus GmbH hat den Arzt Rüterboris angestellt, ihn also zu ihrer Verrichtung bestellt. Der Arzt Rütherboris operiert den Patienten Heinrichs an der Hüfte. Leider verwechselt er die gesunde mit der kranken Hüfte und setzt die Prothese auf der falschen Seite ein. Der Arzt hat damit dem Patienten Heinrich fahrlässig an dessen Gesundheit und am Körper verletzt und ihm damit einen Schaden zugefügt. Er hat auch widerrechtlich gehandelt. Auch wenn Patient Heinrich eine Einwilligung in die Operation gegeben hat, deckt diese nicht die Operation an der falschen Hüfte. Der Artz Rütherboris haftet daher nach § 823 Absatz 1 BGB. Nach der Grundregel des § 831 Absatz 1 Satz 1 Absatz 1 BGB haftet neben dem Arzt Rüterboris auch die Krankenhaus GmbH.
Derjenige, der einen anderen zu einer Verrichtung bestellt kann sich von der Haftung befreien, wenn er beweisen kann, dass er den Verrichtungsgehilfen sorgfältig ausgewählt und angeleitet hat.
Beispiele:
In dem obigen Beispiel hat die Firma Hopfen Holzbau GmbH den Kranführer angestellt, ohne einen formalen Nachweis über dessen Befähigung gesehen zu haben. Der Kranführer Billinger verfügt auch nicht über einen solchen Nachweis. Hierzu war er aber verpflichtet. Die Firma Hopfen Holzbau GmbH haftet, weil sie nicht nachweisen kann, dass Sie den Kranführer Billinger sorgfältig ausgesucht hat. Hat die Sanicare Krankenhaus GmbH Arzt Rüterboris sorgfältig ausgesucht und angeleitet, haftet sie nicht. Bei der Auswahl kommt es vor allem auf die Prüfung formaler Qualifikationen an. Bei der Anleitung und Überwachung kommt es darauf an, dass Verhalten und Kontrollinstrumente geschaffen werden, die Fehler vermeiden (Qualitätshandbücher, Richtlinien zur Kontrolle, Compliance).
Den Beweis für sorgfältige Auswahl und Anleitung muss sie erbringen. Nicht der Geschädigte muss also das Fehlverhalten nachweisen. Vielmehr muss derjenige, der einen anderen zu einer Verrichtung bestellt, umgekehrt die sorgfältige Auswahl und Anleitung beweisen. Man spricht deshalb von einer Beweislastumkehr.
§ 830 BGB regelt den Fall, dass mehrere durch eine gemeinschaftlich begangene unerlaubte Handlung einen Schaden verursacht haben.
Lies: § 830 Absatz 1 BGB
Das Wort „gemeinschaftlich“ bedeutet, dass die Personen bewusst und gewollt zusammengewirkt haben müssen. Bloßes „dabei sein“ oder zusehen reicht nicht.
Beispiel: Die 15-jährigen Anton und Fabian brechen auf der Suche nach Zigaretten einen Kiosk auf. Anton bricht in den Kiosk ein, Fabian „steht Schmiere“. Beide werden vom Kioskbesitzer erwischt. Der will keine Anzeige bei der Polizei, aber Schadensersatz für die zerstörte Tür. In diesem Fall schulden beide Schadensersatz und zwar jeweils in voller Höhe, weil sie die Tat gemeinschafltich geplant und ausgeführt haben.
Die geschädigte Person kann ihr Geld zwar von jedem in voller Höhe verlangen, erhält ihr Geld aber nicht mehrfach. Der Zweck dieser Regel ist: Die geschädigte Person soll sich aussuchen können, von wem sie das Geld verlangt.
In § 840 BGB geht es um den Fall, dass mehrere Personen für einen Schaden nebeneinander verantwortlich sind.
Lies: § 840 Absatz 1 BGB
Anders als bei § 830 BGB kommt es nicht auf gemeinschaftliche Tatbegehung an. Entscheidend ist nur, ob sie beide nebeneinander verantwortlich sind.
Beispiel: In dem obigen Beispiel kann der Nachbar Scheuritz nach § 823 Absatz 1 BGB Schadensersatz vom Kranführer Billinger verlangen. Der Nachbar Scheuritz kann nach § 831 Absatz 1 BGB auch Schadensersatz vom Arbeitgeber des Kranführers Billinger, der Firma Hopfen Holzbau GmbH verlangen. Der Kranführer Billinger und die Firma Hopfen Holzbau GmbH sind daher nebeneinander verantwortlich.
Sind mehrere für einen Schaden nebeneinander verantwortlich, so haften sie im Außenverhältnis, also im Verhältnis zum Geschädigten als „Gesamtschuldner“
Dieser Begriff ist in § 421 BGB, also im allgemeinen Teil des Schuldrechts definiert.
Lies: § 421 Absatz 1 BGB
Die Gesamtschuldnerschaft führt dazu, dass der Geschädigte sich aussuchen kann, wen er in Anspruch nimmt und in welcher Höhe er dies tut. Er kann den Schaden natürlich nur einmal verlangen.
Nimmt der Geschädigte einen der Verantwortlichen ganz oder in größerem Umfang in Anspruch als den anderen, so ist der andere im Innenverhältnis zum Ausgleich verpflichtet.
Lies: § 426 Absatz 1 BGB
Beispiel: Die Autofahrerin Göritz und der Autofahrer Borgwart haben gemeinschaftlich einen Unfall mit der Radfahrerin Murschinsky verursacht und sind jeweils zur Hälfte verantwortlich. Frau Göritz wird von der Radfahrerin Murschinsky verklagt und zahlt auf das Urteil den vollen Betrag. Sie kann sich die Hälfte vom Autofahrer wiederholen.
Ausnahmen von der Grundregel, wonach mehrere Schädiger als Gesamtschuldner haften, regeln die Absätze 2 und 3 des § 840 BGB.
Lies: § 840 Absatz 2 und 3 BGB
Die Verantwortung für Schäden, welche Minderjährige oder andere zu beaufsichtigende Personen anrichten, werden von der Rechtsordnung den für diese Personen Verantwortlichen zugerechnet. Jeder kennt dieses Prinzip: „Eltern haften für ihre Kinder“. Dieses Prinzip gilt jedoch nur beschränkt, denn Eltern – und andere Aufsichtspflichtige – haften nur dann für ihre Kinder, wenn sie ihre Aufsichtspflicht verletzt haben.
Die Rechtsordnung geht davon aus, dass aus der Entstehung eines Schadens bei einem anderen sich nicht notwendig ableiten lässt, dass die Eltern ihre Aufsichtspflicht verletzt haben. Vielmehr ist es auch denkbar, dass Eltern ihre Aufsichtspflicht „richtig“ ausgeübt haben und trotzdem ein Schaden entsteht. Wenn in einem solchen Fall auch das Kind wegen Unterschreitens der Altersgrenze oder wegen fehlender Einsichtsfähigkeit nicht haftet, bekommt der Geschädigte keinen Ausgleich für seinen Schaden. Diese Grundsätze sind in § 832 BGB geregelt.
Lies: § 840 Absatz 2 und 3 BGB
Die Vorschrift betrifft nur solche Fälle, in denen es um Schädigungen Dritter geht. Nicht erfasst sind solche Fälle, in denen sich die zu beaufsichtigende Person selbst einen Schaden zufügt. Hier stellt sich die Frage, ob und nach welcher Vorschrift ein solcher Schaden von der Aufsichtsperson übernommen werden muss. Weder § 823 BGB (die Aufsichtsperson ist nicht Täter) noch § 832 BGB (kein Schaden eines Dritten) passen. Die Rechtsprechung hat deshalb die Figur der sog. **Haftung aus „Garantenstellung“ bzw. wg. „Verletzung der Garantenpflicht“ entwickelt. Über diese Logik hinaus hat die Rechtsprechung in Anlehnung an die §§ 836 ff. (die Haftung des Gebäude- bzw. Grundstücksbesitzers) die Haftung wegen Verletzung sog. Verkehrssicherungspflichten entwickelt.
Wer eine Pflicht zur Aufsicht über eine andere Person hat, kann für Schäden haften, die die zu beaufsichtigende Person einer dritten Person zufügt.
Die Aufsichtspflicht muss entweder aus dem Gesetz folgen oder aufgrund eines Vertrages bestehen.
Lies: § 832 Absatz 1 BGB
Beispiele: Sorgeberechtigte Eltern haben nach § 1631 BGB eine gesetzliche Aufsichtspflicht gegenüber dem Kind. Tagespflegepersonen, die ein Kind betreuen, haben aufgrund des Vertrages mit den Eltern eine vertragliche Aufsichtspflicht.
Weitere Beispiele:
- gesetzliche Aufsichtspflicht: Eltern, Vormünder, Pfleger (§ 1629 BGB) sowie für Lehrer (Schulgesetze der Länder).
- vertragliche Aufsichtspflichten: alle Personen, die die Betreuung von Kindern, Jugendlichen, behinderten Menschen, alten Menschen per Vertrag (nicht notwendig mit dem originär Aufsichtspflichtigen!) übernehmen. Zum Beispiel Betreuungspersonal in Jugendhilfe- oder Behindertenhilfeeinrichtungen, „Pflegeeltern“, Personen, die ehrenamtlich die Betreuung von Kindern übernehmen (Jugendfreizeiten).
Die zu beaufsichtigende Person muss wegen ihres geistigen oder körperlichen Zustandes beaufsichtigungsbedürftig sein. Vor allem geht es um die Aufsicht über Minderjährige, Menschen mit Behinderungen und um alte Menschen.
Wie bei § 823 BGB verlangt auch § 832 BGB den Schaden eines Dritten. Eigenschäden des Minderjährigen sind von § 832 BGB nicht erfasst.
Liegen die Voraussetzungen des § 832 Abs.1 S. 1 BGB vor, führt dies zunächst zur Haftung des Aufsichtspflichtigen.
Es gibt Ausnahmen von der Haftung des Aufsichtspflichtigen: Der Aufsichtspflichtige wird unter bestimmen Voraussetzungen von der Haftung frei.
Dies ist zunächst dann der Fall, wenn er seiner Aufsichtspflicht genügt. Er wird von der Haftung frei, wenn er nachweisen kann, dass er das Erforderliche getan hat, um den Schaden zu vermeiden. Er haftet dann nicht. Dabei wird ihm zugestanden, das Kind bzw. den Jugendlichen oder die Jugendliche nicht ständig beaufsichtigen zu müssen. Im Interesse einer Erziehung zu einem eigenverantwortlichen und selbstständigen Menschen sind dem Kind bzw. dem oder der Jugendlichen gewisse Freiheiten zu gewähren.
Er haftet auch dann nicht, wenn der Schaden auch bei gehöriger Aufsichtsführung entstanden sein würde. Zu dieser Alternative gelangt man nur, wenn der Aufsichtspflichtige seiner Aufsichtspflicht nicht genügt hat. Es wird dann weiter danach gefragt, ob der Schaden auch dann entstanden wäre, wenn der Aufsichtspflichtige sich richtig verhalten, eben seiner Aufsichtspflicht genügt hätte. Dieses richtige, an sich gebotene Verhalten nennt man „rechtmäßiges Alternativverhalten“. Wäre der Schaden auch bei rechtmäßigem Alternativverhalten entstanden, haftet der Aufsichtspflichtige nicht. Dies muss allerdings der Aufsichtspflichtige beweisen (Beweislastumkehr), was er selten kann.
Bsp.: Der 8-jährige Karl spielt am Grill mit Spiritus. Andere Kinder werden durch Stichflammen verletzt. Die Eltern sind nicht zu Hause und haben weder Grill noch Spiritus ordnungsgemäß verschlossen. Dies stellt eine Aufsichtspflichtverletzung dar. Können die Eltern nachweisen, dass der Schaden auch entstanden wäre, wenn sie daneben gestanden hätte, dann haften sie nicht. Das gelingt jedoch kaum.
Ein weiteres Problem des Haftungsrechtes ist die Haftung des Aufsichtspflichtigen für Eigenschäden der zu beaufsichtigenden Person.
Beispiel: wie vorher mit folgender Abwandlung: Karl verletzt sich selbst.
§ 832 BGB (Haftung des Aufsichtspflichtigen) greift hier nicht, weil er den Schaden eines „Dritten“, also einer anderen Person, als der des Schädigers, voraussetzt. Auch auf § 823 BGB kann hier nicht ohne weiteres zurückgegriffen werden, weil er eine Verletzungshandlung des Täters – oder auch: eine Tat – unterstellt (vgl. § 823 Abs.1 BGB: „Wer … verletzt…“). An einer solchen Tat fehlt es aber bei einer Aufsichtspflichtverletzung gerade. Dem Aufsichtspflichtigen wird doch gerade vorgeworfen nichts getan zu haben, nicht zur „Tat“ geschritten zu sein. Mit einem juristischen „Kunstgriff“ gelingt es der Rechtsprechung nun, dieses Nichtstun, oder, wie es die Juristen nennen, dieses Unterlassen, der Tat gleichzusetzen. Sie nehmen dabei Anleihe bei einer Rechtsfigur aus dem Strafrecht. Dort ist in § 13 StGB geregelt, dass derjenige, der eine an sich rechtlich gebotene Handlung nicht vornimmt, ebenso bestraft wird, wie derjenige, der aktiv gehandelt hat. § 13 StGB formuliert, der Unterlassungstäter müsse „rechtlich dafür einzustehen“ haben, dass (vereinfacht gesprochen) der andere nicht zu Schaden kommt.
Beispiel: Der Ehemann rettet seine Ehefrau nicht vor dem Ertrinken, obwohl er dieses könnte. Er will sie loswerden, weil er an ihr Erbe will. Er wird wegen Verletzung seiner ehelichen Pflicht zur Verantwortung für seine Ehefrau (§ 1353 Absatz 1 BGB) ebenso bestraft, wie derjenige, der die Frau als Fremder unter Wasser drückt und ertränkt, nämlich als Mörder (§ 211 StGB).
Diese Rechtsfigur haben die Zivilgerichte auf das Zivilrecht übertragen. Das heißt nicht, dass das Strafrecht unmittelbar im Zivilrecht gilt. Es ist mehr die Idee des § 13 StGB, die man auf das Zivilrecht übertragen hat. Man hat es hier mit einem Fall von Rechtsschöpfung durch Richterrecht zu tun. Im Ergebnis gilt deshalb, dass der Aufsichtspflichtige dann für Eigenschäden haftet, wenn ihn eine Rechtspflicht trifft, Schaden vom anderen abzuwenden. Diese Rechtspflicht nennt man Garantenstellung. Eine Haftung aus Garantenstellung setzt daher zunächst deren Bestehen voraus – ohne Garantenstellung keine Haftung als Unterlassungstäter.
Beispiele für Grantenstellungen
Garantenstellungen aus gesetzlichen Obhuts- und Fürsorgepflichten:
- Eltern – Kinder (§ 1631 BGB)
- Ehegatten im Verhältnis zueinander (§ 1353 BGB)
- Lehrer – Schüler (Landesschulgesetze)
- Fallführende Fachkraft beim Jugendamt – Kinder/Jugendlicher bei Vorliegen gewichtiger Anhaltspunkte für eine Kindeswohlgefährdung (§ 8a SGB VIII)
- etc.
Garantenstellungen aus vertraglichen Verpflichtungen
- Pflegeeltern als Vertragspartner der Eltern haben für die Kinder eine Garantenstellung
- Betreuer bei Jugendfreizeiten
- Reiseleiter bei Jugendreisen
- Sozialarbeiter/Sozialpädagoge bei einem freien Träger auf Grund einer Vereinbarung seines Arbeitgebers nach § 8a Abs. 4 SGB VIII und Arbeitsvertrag
Garantenstellungen aus tatsächliche übernommener Verantwortung für andere und zwar auch in Fällen, in denen kein Vertrag geschlossen wurde
- sog. Gefahrengemeinschaft
Bsp.: Acht Personen machen zusammen eine Bergtour – jeder trägt Verantwortung für den anderen und hat deshalb eine Garantenstellung.
- aus vorangegangenem gefährdenden Tun (sog. „Ingerenz“, Beispiel: Jemand verschuldet im Straßenverkehr fahrlässig die Verletzung eines anderen Menschen. Dann trifft ihn eine Garantenpflicht, sich um Hilfe für das Unfallopfer zu kümmern und so etwa dessen Tod zu verhindern.)
Wer Sachherrschaft über eine Gefahrenquelle hat, soll dafür verantwortlich sein, dass diese Gefahren sich nicht verwirklichen und die dafür erforderlichen Maßnahmen ergreifen. Dabei ist es unerheblich, ob diese Maßnahme in einem Tun oder Unterlassen besteht. Allerdings bestehen solche Pflichten nur im Rahmen des Zumutbaren. Dies orientiert sich wiederum an der Regel zur Fahrlässigkeit (§ 276 Abs. 2 BGB).
Beispiele für Verkerssicherungspflichten:
- Streupflicht auf öffentlich zugänglichen Wegen
- Absicherungspflicht von Gruben und Baustellen, auch im Hinblick auf Kinder
- Sicherungspflicht für lose, ggf. durch Witterung abgetrennte Gebäudeteile
- Sicherungspflicht für Brandschutz usw. in Wohnungsanlagen
- Organisations- und Überwachungs- und Aufsichtspflicht trifft insbesondere die Leitungsebene