Im Folgenden werden die allgemeinen Voraussetzungen im Eingliederungshilferecht nach dem SGB IX erläutert. Die Eingliederungshilfe nach dem SGB IX ist dort in Teil 2 geregelt.
Auf einen Blick: Eingliederungshilfeleistungen nach dem SGB IX erhalten Menschen mit wesentlichen (drohenden) körperlichen, seelischen, geistigen oder Sinnesbeeinträchtigungen.
Zur Erinnerung: Eingliederungshilfeleistungen nach dem SGB VIII erhalten Kinder und Jugendliche sowie junge Erwachsene mit seelischen Behinderungen. Liegt also eine seelische Behinderung vor, so wird Eingliederungshilfe nach dem SGB VIII erbracht.
An die Gewährung einzelner Eingliederungshilfeleistungen sind zusätzliche besondere Voraussetzungen geknüpft. Die besonderen Voraussetzungen werden bei den jeweiligen Leistungen der Eingliederungshilfe aufgeführt.
In § 99 SGB IX steht, wer berechtigt ist, Eingliederungshilfeleistungen nach dem SGB IX zu erhalten.
Der Kreis der leistungsberechtigten Personen, also derjenigen Menschen, denen Leistungen der Eingliederungshilfe zustehen können, ist begrenzt.
Eingliederungshilfe ist Personen nach § 2 Abs. 1 S. 1 und 2 SGB IX zu leisten, deren Beeinträchtigungen die Folge einer Schädigung der Körperfunktion und -struktur einschließlich der geistigen und seelischen Funktionen sind und die dadurch in Wechselwirkung mit den Barrieren in erheblichem Maße in ihrer Fähigkeit zur Teilhabe an der Gesellschaft eingeschränkt sind.
Lesen Sie: § 99 Abs. 1 S. 1 SGB IX
Leistungen der Eingliederungshilfe werden Menschen mit Behinderungen gewährt.
Das SGB IX definiert den Begriff Behinderung wie folgt:
Menschen mit Behinderungen sind Menschen, die
Eine Beeinträchtigung liegt vor, wenn der Körper- und Gesundheitszustand von dem für das Lebensalter typischen Zustand abweicht.
Lesen Sie: § 2 Abs. 1 S. 1 und 2 SGB IX
Maßgeblich für die Feststellung einer Behinderung ist danach, inwieweit die gleichberechtigte Teilhabe an der Gesellschaft durch die gegebenen äußeren Bedingungen (einstellungs- und umweltbedingte Barrieren) eingeschränkt ist. Dabei findet der Kontext der Person in ihrem sozialen und gesellschaftlichen Umfeld Berücksichtigung.
Leistungsberechtigt sind nicht nur Menschen mit bestehenden Behinderungen. Es reicht aus, wenn eine erhebliche Einschränkung nach fachlicher Kenntnis mit hoher Wahrscheinlichkeit droht. Man spricht von drohenden Behinderungen.
Lesen Sie: § 99 Abs. 2 S. 1 SGB IX
Leistungen nach dem SGB IX, die der Träger der Eingliederungshilfe erbringt, richten sich an Menschen mit körperlichen, seelischen und geistigen Behinderungen.
Das SGB VIII, in dem die Kinder und Jugendhilfe geregelt ist, bestimmt, dass Kinder und Jugendliche sowie junge Erwachsene mit seelischen Behinderungen Leistungen der Eingliederunghilfe durch den Träger der Jugendhilfe erhalten.
§ 35a Abs.1 SGB VIII beschränkt den Leistungsanspruch auf junge Menschen, deren „seelische“ Gesundheit beeinträchtigt ist, die also seelisch behindert sind. Damit greift das SGB VIII eine Teilgruppe von Menschen mit Behinderungen aus dem Leistungssystem des SGB IX heraus. Kinder und Jugendliche, die „seelisch“ behindert sind, erhalten Leistungen aus dem System des SGB VIII während Kinder und Jugendliche, die geistig oder körperlich behindert sind, Leistungen aus dem System des SGB IX erhalten. Für junge Volljährige gilt dieses entsprechend, wenn gleichzeitig die Voraussetzungen des § 41 Absatz 1 SGB VIII vorliegen.
Eingliederungshilfe nach SGB VIII und SGB IX
SGB VIII | SGB IX |
---|---|
Menschen mit seelischer Behinderung | |
Menschen mit geistiger Behinderung | |
Menschen mit körperlicher Behinderung |
Die Teilhabe an der Gesellschaft muss durch die Behinderung wesentlich eingeschränkt sein. Das Gesetz spricht vom Erfordernis einer wesentlichen Behinderung.
Lesen Sie: § 99 Abs. 2 S. 1 SGB IX
Der Grad der Einschränkung wird anhand der Internationalen Klassifikation der Funktionsfähigkeit, Behinderung und Gesundheit, kurz: ICF (International Classification of Functioning, Disability and Health) festgestellt. Dabei werden die Wechselwirkungen mit (lebens-)situationsbedingten Einschränkungen berücksichtigt. Maßgeblich ist das Maß der Einschränkung der gesellschaftlichen Teilhabe, nicht die zugrundeliegende Funktionsbeeinträchtigung.
Das Bundessozialgericht führt hierzu aus: „das Gesetz stellt nur auf die Wesentlichkeit der Behinderung, nicht den quantitativen oder qualitativen (Mindest-)Aufwand für die Hilfeleistung ab.“
Das Vorliegen einer wesentlichen Behinderung hat Auswirkungen auf die Entscheidung der Behörde: Im Falle einer wesentlichen Behinderung trifft die zuständige Behörde eine gebundene Entscheidung, im Falle einer nicht wesentlichen Behinderung steht der Behörde ein Ermessen zu.
Ausländer aus Drittstaaten mit gefestigtem Aufenthaltsstatus erhalten Leistungen der Eingliederungshilfe unter den gleichen Voraussetzungen wie Deutsche.
Ein gefestigter Aufenthaltsstatus liegt vor bei
Lesen Sie: § 100 Abs. 1 S. 2 und S. 3 SGB IX
Für EU-Ausländer ist die Rechtslage unklar. Jedenfalls EU-Ausländer, die ihren dauerhaften Lebensmittelpunkt weiterhin in einem anderen EU-Mitgliedsstaat und nicht in Deutschland haben, müssen sich an ihren Heimatstaat wenden.
So der Europäische Gerichtshof: EuGH 25.7.2018 – C-679/2016
Sonstige Ausländer, die nicht in eine der vorgenannten Gruppen fallen, erhalten Leistungen der Eingliederungshilfe, soweit dies im Einzelfall gerechtfertigt ist. Die Entscheidung liegt im Ermessen der zuständgen Behörde.
Lesen Sie: § 100 Abs. 1 S. 1 SGB IX
Bei der Ermessensausübung sind die Vorgaben der UN-Behindertenrechtskonvention, die UN-Kinderrechtskonvention sowie völkerrechtliche und EU-rechtliche Vorgaben zu berücksichtigen.
Asylsuchende erhalten keine Eingliederungshilfeleistungen.
Lesen Sie: § 100 Abs. 2 SGB IX
Leistungen sind ausgeschlossen, wenn der Ausländer eingereist ist, um Eingliederungshilfeleistungen zu erlangen.
Lesen Sie: § 100 Abs. 3 SGB IX
Deutsche mit gewöhnlichem Aufenthalt im Ausland erhalten in der Regel keine Eingliederungshilfeleistungen.
Lesen Sie: § 101 Abs. 1 S. 1 SGB IX
Ausnahmen bestehen nur in Einzelfällen in außergewöhnlichen Notlagen, wenn eine Rückkehr nach Deutschland nicht möglich ist.
Leistungen der Eingliederungshilfe werden nur gewährt, wenn ein entsprechender Bedarf vorliegt. Die Leistung muss geeignet und erforderlich sein, diesen Bedarf zu decken.
Die Leistungen der Eingliederungshilfe bestimmen sich nach der Besonderheit des Einzelfalles, insbesondere nach
Lesen Sie: § 104 Abs. 1 S. 1 SGB IX
Die Leistungen werden so lange erbracht, wie die Teilhabeziele nach Maßgabe des Gesamtplanes (§ 121) erreichbar sind.
Lesen Sie: § 104 Abs. 1 S. 2 SGB IX
Das bedeutet, die Leistungen werden solange erbracht, wie sie erforderlich sind, jedoch nicht darüber hinaus. Das Gesetz sieht vor, dass Leistungen der Eingliederungshilfe nur erbracht werden, wenn und solange nach der Besonderheit des Einzelfalles Aussicht besteht, dass die Aufgabe der Eingliederungshilfe erfüllt werden kann.
Aufgabe der Eingliederungshilfe ist es, Leistungsberechtigten eine individuelle Lebensführung zu ermöglichen, die der Würde des Menschen entspricht, und die volle, wirksame und gleichberechtigte Teilhabe am Leben in der Gesellschaft zu fördern. Die Leistung soll sie befähigen, ihre Lebensplanung und -führung möglichst selbstbestimmt und eigenverantwortlich wahrnehmen zu können.
Lesen Sie: § 90 Abs. 1 SGB IX
Um die geeigneten und erforderlichen Leistungen zu ermitteln und festzustellen, wird ein sogenanntes Gesamtplanverfahren durchgeführt.
Lesen Sie: § 117 SGB IX
Für die Bedarfsermittlung hat der zuständige Leistungsträger ein Instrument zur Bedarfsermittlung zu verwenden, welches sich an der ICF (kurz für: International Classification of Functioning, Disability and Health), der Internationalen Klassifikation der Funktionsfähigkeit, Behinderung und Gesundheit orientiert.
Lesen Sie: § 118 SGB IX
Leistungen der Eingliederungshilfe werden nur auf Antrag erbracht. Die Leistungen werden frühestens ab dem Ersten des Monats der Antragstellung erbracht, wenn zu diesem Zeitpunkt die Voraussetzungen bereits vorlagen.
Wird allerdings ein Gesamtplanverfahren nach § 117 SGB IX durchgeführt, so ist für die im Rahmen dieses Verfahrens ermittelten Leistungen kein Antrag erforderlich.
Lesen Sie: § 108 SGB IX
Der Antrag auf Leistungen der Eingliederungshilfe ist formlos. Das bedeutet, er kann auch mündlich oder durch entsprechendes Verhalten zum Ausdruck gebracht werden.
Leistungen der Eingliederungshilfe sind nachrangig gegenüber Leistungen von anderen Leistungserbringern und nachrangig gegenüber Leistungen von anderen Sozialleistungsträgern.
Erhält eine Person eine Leistung bereits von einer anderen Stelle, Person oder einem anderen Sozialleistungsträger, so kann keine Eingliederungshilfeleistung erbracht werden. Der Nachrang gilt jedoch nur dann, wenn die Person die Leistung bereits tatsächlich erhält. Ein bloßer Anspruch schließt Eingliederungshilfeleistungen nicht aus.
Lesen Sie: § 91 Abs. 1 SGB IX
Zugleich dürfen andere Sozialleistungsträger Leistungen nicht mit dem Verweis auf entsprechende Eingliederungshilfeleistungen ablehnen. Während der Träger der Eingliederungshilfe also nachrangig verpflichtet ist, sind andere Sozialleistungsträger zugleich zur vorrangigen Leistung verpflichtet.
Dies gilt insbesondere bei einer gesetzlichen Verpflichtung der Träger anderer Sozialleistungen oder anderer Stellen, in ihrem Verantwortungsbereich die Verwirklichung der Rechte für Menschen mit Behinderungen zu gewährleisten oder zu fördern.
Lesen Sie: § 91 Abs. 2 SGB IX
Im Verhältnis zwischen Pflegeleistungen und Eingliederungshilfeleistungen gelten Sonderregeln. Danach sind Leistungen der Eingliederungshilfe im Verhältnis zu den Leistungen zur Pflege nicht nachrangig. Treffen Pflegeleistungen und Eingliederungshilfeleistungen zusammen, so übernimmt in der Regel der für die Eingliederungshilfe zuständige Träger die Pflegeleistungen. Die Modalitäten werden in jedem Einzelfall zwischen der zuständigen Pflegekasse und dem für die Eingliederungshilfe zuständigen Träger vereinbart. Das Wunsch und Wahlrecht des Menschen mit Behinderung ist zu beachten.
Lesen Sie: § 91 Abs. 3 SGB IX, § 103 SGB IX und § 13 Abs. 3 SGB XI