Florian Gerlach

Seminare zum „Recht der Sozialen Arbeit“

Evangelische Hochschule Bochum

Rechtliches Dreieck

Das rechtliche Dreiecksverhältnis im Jungendhilferecht I – Grundlagen

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Einführung

Der Abschnitt gibt einen Überblick über die Rechtsbeziehungen im jugendhilferechtlichen Dreiecksverhältnis.

Leistungsberechtigte haben bei Vorliegen der Leistungsvoraussetzungen einen Rechtsanspruch auf Leistungserbringung, also einen Leistungsanspruch gegenüber dem Träger der öffentlichen Jugendhilfe. So löst etwa das Vorliegen eines „erzieherischen Bedarfes“ einen Anspruch des Personensorgeberechtigten gegen den Träger der öffentlichen Jugendhilfe aus. Jeder, der Jugendhilfe „betreibt“, weiß jedoch, dass die konkrete Leistungserbringung, also die Arbeit mit Kindern, Eltern und Vormündern, vorrangig durch die Träger der freien Jugendhilfe erfolgt.

Man stößt also auf das Phänomen, dass diejenige Institution, gegen die sich der Leistungsanspruch richtet (das Jugendamt), nicht dieselbe Institution ist, die die Leistung tatsächlich erbringt. Hierfür gibt es sachliche Gründe:

Die Träger der freien Jugendhilfe sind – im Verhältnis zum staatlichen Organ „Jugendamt“ – private Dritte. Die Leistungserbringung durch diese nichtstaatlichen (privaten) Institutionen ist Ausfluss des vom Gesetzgeber gewollten Subsidiaritätsprinzips.

Die Übertragung der eigentlichen Leistungserbringung auf die freien Träger bringt notwendig Steuerungsprobleme und Interessengegensätze mit sich, die der Träger der öffentlichen Jugendhilfe zu bewältigen hat: Die Träger der freien Jugendhilfe stehen miteinander im Wettbewerb um ein endliches öffentliches Jugendhilfebudget. Auf Wirtschaftlichkeit und Gewinn ausgerichtetes ausgerichtetes Verhandeln ist Folge des vom Gesetzgeber gewollten Wettbewerbs der Träger der freien Jugendhilfe um ein begrenztes öffentliches Budget. Gleichzeitig ist zu konstatieren, dass die Träger der öffentlichen Jugendhilfe aufgrund ihres öffentlichen Auftrages einen inhaltlichen wie monetären Steuerungsauftrag haben: Sie müssen dafür sorgen, dass die gewährte Hilfe dem tatsächlichen Bedarf des Hilfesuchenden (Sicherstellung des Bedarfsdeckungsgrundsatzes) entspricht, die Einrichtungen über eine geeignete Sach- und Personalausstattung verfügen und dass die Kosten der Leistungserbringung nicht aus dem Ruder laufen. Dass Jugendamtsmitarbeiter hart um Kostenpositionen verhandeln und ringen, ist deshalb folgerichtig. Kurzum: Im Rahmen von Entgeltverhandlungen begegnen sich die Verhandlungspartner mit unterschiedlichen bis gegensätzlichen Interessenlagen. Diese gilt es nüchtern und auf der Basis rechtlicher und betriebswirtschaftlicher Grundlagen zu verhandeln.

Leistungserbringung durch private Einrichtungsträger

Sozialleistungen werden als Dienst-, Sach- oder Geldleistungen gewährt (§ 11 SGB I). Anders als Sach- und Geldleistungen werden soziale Dienstleistungen in der Regel nicht durch die Sozialleistungsträger (Jugendämter, Sozialämter, Pflegekasse) gewährt. Vielmehr erfolgt die unmittelbare Leistungserbringung, also die Arbeit am Klienten durch sogenannte Träger der freien Jugendhilfe (Träger der freien Wohlfahrtspflege, privat gewerbliche Träger). Die Leistungserbringung durch Träger der freien Jugendhilfe ist gewolltes Prinzip der Leistungserbringung und gesetzlich abgesichert. Nicht die hoheitlichen Sozialleistungsträger sondern (im Verhältnis zum Staat) private Dritte sollen dem Leistungsberechtigten als Leistungserbringer gegenübertreten. An der Leistungserbringung im Bereich der Sozialwirtschaft sind daher in aller Regel drei Rechtssubjekte beteiligt, nämlich:

  • der Leistungsberechtige,
  • die Träger der freien Jugendhilfe sowie
  • der staatliche Sozialleistungsträger (Jugendamt).

Mit der Einschaltung privater Dritter (also der Träger der freien Wohlfahrtspflege und der privat-gewerblichen Träger) sind zugleich Steuerungsprobleme geschaffen, denn anders als im Bereich der Leistungserbringung durch die staatlichen Institutionen selbst, kann der Sozialleistungsträger nicht ohne weiteres auf die Leistungserbringung durch die freien Träger einwirken. Deren Selbstständigkeit und Autonomie ist durch das gesetzlich geregelte Subsidiaritätsprinzip sogar ausdrücklich geschützt. Gleichwohl muss der (staatliche) Sozialleistungsträger sicherstellen, dass die durch die freien Träger erbrachte soziale Dienstleistung

  • den Bedarf des Hilfesuchenden deckt,
  • diese Dienstleistung möglichst wirtschaftlich und sparsam erbracht wird und dass
  • durch die Leistungserbringer das Wohl der Hilfesuchenden nicht gefährdet wird.

Die Steuerungsprobleme betreffen also diese drei Ebenen. Gesetzgebung und Rechtsprechung haben diesen Steuerungsproblemen einen Rahmen gegeben, der – grob gesprochen – als sogenanntes sozialrechtliches bzw. jugendhilferechtliches Dreiecksverhältnis beschrieben wird.

Mit dem jugendhilferechtlichen Dreiecksverhältnis werden die Rechtsbeziehungen zwischen den an der Leistungserbringung Beteiligten (Leistungsberechtigter, Jugendamt, Träger der freien Jugendhilfe) geregelt. Die Rechtsbeziehungen im Dreiecksverhältnis geben also Auskunft darüber, wer im Verhältnis dieser drei Rechtssubjekte zueinander welche Rechte hat und wer in welcher Weise auf den jeweils anderen einwirken kann. Die Rechtsbeziehungen im rechtlichen Dreiecksverhältnis sind daher für das Verständnis des Prozesses der Leistungserbringung von zentraler Bedeutung.

Mit den Rechtsbeziehungen im rechtlichen Dreiecksverhältnis lassen sich eine Vielzahl von Fragen beantworten, die im Alltag der Einrichtungen relevant werden. Beispiele sind:

  • Kann der Sozialleistungsträger unmittelbar auf den Inhalt der Leistungserbringung einwirken, wenn doch das autonome Handeln der freien Träger durch das Subsidiaritätsprinzip geschützt ist?
  • Kann der freie Träger im Falle einer Auseinandersetzung mit dem Sozialleistungsträger seine Ansprüche für bereits erbrachte Leistungen unmittelbar gegenüber dem Sozialleistungsträger einklagen?
  • Kann der Sozialleistungsträger im Falle einer Überzahlung von Geldern das Geld unmittelbar vom freien Träger zurückfordern?
  • Wer entscheidet bei einem Streit über die „richtige“ Art der Hilfe?

Die Steuerung der Leistungserbringung

Die Steuerung und Kontrolle der Leistungserbringung erfolgt im Wesentlichen auf drei Ebenen:

  • Die fachliche Steuerung des Einzelfalls im Rahmen des sogenannten rechtlichen Dreiecksverhältnisses erfolgt über das Hilfeplanverfahren nach § 36 SGB VIII. Das Hilfeplanverfahren ist der Ort, an dem der zunächst abstrakte Bedarf auf Hilfe konkretisiert wird. Auf die im Hilfeplanverfahren konkret „ausgehandelte“ Hilfe hat der Hilfesuchende einen Rechtsanspruch. Einzelheiten hierzu sind in den Studienkarten zum Kinder- und Jugendhilferecht dargestellt.
  • Eine weitere Steuerungsebene ist die Heimaufsicht. Die Vorschriften zu Erteilung der Betriebserlaubnis und zur „Überwachung“ des laufenden Einrichtungsbetriebes sollen abstrakt, also losgelöst vom Einzelfall sicherstellen, dass die Betreuung durch geeignete Kräfte sichergestellt und dass auch in sonstiger Weise das Wohl der Kinder gewährleistet wird.
  • Die dritte Steuerungsebene sind die Leistungs-, Entgelt- und Qualitätsentwicklungsvereinbarungen nach §§ 78 a ff. SGB VIII. Auf dieser Steuerungsebene geht es – wieder losgelöst vom Einzelfall – um die monetäre und qualitative Steuerung des Einzelfalles. Im Kern geht es auf dieser Ebene darum, die Debatte um Preis und Leistung einem Streit im Einzelfall zu entziehen. Die „Bepreisung“ einzelner Leistungsangebote nach bestimmten rechtlichen Vorgaben ist Gegenstand der Entgeltverhandlungen. Es geht um die Festlegung eines Preises für ein abstrakt definiertes Produkt, die über die Festlegung des im konkreten Einzelfall zu zahlenden Entgeltes (letzteres hängt nämlich vom Umfang der dem Hilfesuchenden gewährten Leistungen – in der Marktterminologie: „Produkte“ – ab).

Die Rechtsbeziehungen im Dreieck

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Die Rechtsbeziehungen im Dreiecksverhältnis, also die Rechtsbeziehungen zwischen Jugendamt, Leistungsberechtigten und Trägern der freien Jugendhilfe sind nicht bzw. nur unvollständig im Gesetz geregelt. Die Gestaltung der Rechtsbeziehung wurzelt vor allem in der Rechtsprechung zum Leistungserbringungsrecht. Grundlage dieser Rechtsprechung sind folgende Überlegungen:

Überblick

Leistungen der Jugendhilfe werden von Trägern der freien Jugendhilfe und von Trägern der öffentlichen Jugendhilfe erbracht. Träger der freien Jugendhilfe sind alle Leistungserbringer im Bereich der Jugendhilfe, unabhängig von der Frage, ob sie gemeinnützig oder privatgewerblich tätig sind und auch unabhängig von ihrer Rechtsform. Träger der öffentlichen Jugendhilfe sind die kommunalen Jugendämter.

Die Leistungen der Jugendhilfe werden vorrangig von den Trägern der freien Jugendhilfe erbracht. Die öffentliche Jugendhilfe soll von eigenen Maßnahmen absehen, soweit geeignete Einrichtungen und Dienste von anerkannten Trägern der freien Jugendhilfe betrieben werden können.

Lesen Sie:
§ 3 Abs. 2 SGB VIII
§ 4 Abs. 2 SGB VIII

Diese gesetzlichen Vorgaben spiegeln sich auch in der Praxis der Kinder- und Jugendhilfe. Die große Mehrzahl der Jugendhilfeleistungen wird durch Träger der freien Jugendhilfe erbracht. Die Einrichtungsträger werden deshalb auch „Leistungserbringer“ genannt.

Gleichzeitig normiert das Gesetz, dass für die Leistungsansprüche des SGB VIII der örtliche Träger der Jugendhilfe zuständig ist (§ 86 Abs. 1 S. 1 SGB VIII).

Man sieht sich also mit dem Paradoxon konfrontiert, dass das SGB VIII Leistungsansprüche formuliert, die gegen das Jugendamt zu richten sind und hinsichtlich derer das Jugendamt auch zu leisten verpflichtet ist, während gleichzeitig formuliert wird, dass das Jugendamt im Regelfall von der Erbringung eigener Leistungen absehen soll.

Dies führt notwendig zu der Frage, was denn das Jugendamt leisten soll, wenn nicht die soziale Dienstleistung selbst?

Die Rechtsprechung war in der Vergangenheit im Hinblick auf die Beantwortung dieser Frage immer wieder zu unterschiedlichen Ergebnissen gekommen. Verschiedene Gerichte hatten also unterschiedlich entschieden. Inzwischen werden die Rechtsbeziehungen im Dreiecksverhältnis von den Gerichten jedoch weitgehend einheitlich interpretiert:

Die Rechtsprechung unterscheidet folgende Rechtsbeziehungen:

  • Leistungsberechtigter – Einrichtungsträger
  • Leistungsberechtigter – Jugendamt
  • Einrichtungsträger – Jugendamt

Leistungsberechtigter – Einrichtungsträger

Zwischen dem Einrichtungsträger und dem Leistungsberechtigten wird ein privatrechtlicher Dienstvertrag (Betreuungsvertrag) abgeschlossen. Grundlage dieses Dienstvertrages ist § 611 BGB. Der Vertrag verpflichtet die Einrichtung zur Erbringung der versprochenen sozialen Dienstleistung und den Hilfesuchenden zur Zahlung. Dieser Vertrag kann mündlich, schriftlich oder aber auch durch konkludentes (=schlüssiges) Verhalten geschlossen werden.

Leistungsberechtigter – Jugendamt

Der Leistungsberechtigte hat bei Vorliegen der Tatbestandsvoraussetzungen einen Anspruch auf Leistungen nach den jeweils in Frage kommenden Leistungstatbeständen des SGB VIII. Dies sind:

Dieser Rechtsanspruch ist jedoch nicht darauf gerichtet, dass das Jugendamt die soziale Dienstleistung selbst in Natur erbringt. Vielmehr haben die Leistungsberechtigten einen Anspruch darauf, dass das Jugendamt sich gegenüber dem Einrichtungsträger verpflichtet, die Kosten der sozialen Dienstleistung zu übernehmen.

Leistungsanspruch:

Der Anspruch des Leistungsberechtigten wird durch einen bewilligenden Verwaltungsakt verwirklicht:

Jugendamt – Einrichtungsträger

Die Träger und Einrichtungen selbst haben zunächst keinen unmittelbaren Leistungsanspruch gegenüber den Jugendämtern, letztere umgekehrt keine unmittelbare Einwirkungsmöglichkeit – etwa in Form von Weisungen o.ä. – auf die Träger und Einrichtungen. Zu unmittelbaren Leistungsbeziehungen zwischen dem Träger der öffentlichen Jugend- bzw. Sozialhilfe und dem freien Träger kommt es nur, wenn das Jugend- bzw. Sozialamt der Einrichtung gegenüber dem Leistungsberechtigten eine Kostenzusage erteilt hat.

Zu dieser Kostenzusage kommt es durch Erlass des bewilligenden Verwaltungsaktes durch das Jugendamt gegenüber dem Leistungsberechtigten. Die Rechtsprechung sieht in diesem Verwaltungsakt einen Schuldbeitritt durch Verwaltungsakt mit Drittwirkung.

Im „fertigen Dreieck“ gibt es deshalb folgende Rechtsbeziehungen:

Rechtliche Konsequenzen aus dem Dreiecksverhältnis

Die Rechtsprechung zum rechtlichen Dreiecksverhältnis hat für die Leistungserbringung folgende Konsequenzen:

Zahlungsanspruch des Einrichtungsträgers gegenüber dem Leistungsberechtigten

Zahlungsansprüche des Einrichtungsträgers gegenüber dem Leistungsberechtigten kann es nur geben, wenn zwischen dem Einrichtungsträger und dem Leistungsberechtigten ein wirksamer Vertrag über die Betreuung des Leistungsberechtigten geschlossen wurde. Dieser Vertrag kann grundsätzlich auch mündlich geschlossen werden, weil für diese Art von Verträgen kein gesetzliches Schriftformgebot besteht. Der bloß mündliche Vertragsabschluss bringt die Vertragspartner aber oft in Beweisnot, weil zumindest auf Seiten des Leistungsberechtigten kein ausreichendes Bewusstsein dahingehend besteht, dass mit dem Einverständnis zur stationären Unterbringung oder ambulanten Betreuung des Kindes gleichzeitig ein Vertrag mit dem Einrichtungsträger geschlossen wird. Außerdem kann ohne einen schriftlichen Vertrag zwischen dem Leistungsberechtigten und dem Einrichtungsträger die Leistung und die Gegenleistung nur schwer bestimmt werden. Welche Leistung genau vereinbart ist, welche Zusatzleistung vereinbart ist, welche Rechte die Einrichtungsmitarbeiter im Bereich der Sorge für das Kind haben und auch welche Vergütungen im Detail geschuldet werden (z.B. Kosten für Nachhilfe) ist oft nicht geklärt.

Praxistipp: Zwischen Leistungsberechtigtem und Einrichtungsträger sollten daher unbedingt schriftliche Betreuungsverträge abgeschlossen werden.

Zahlungsanspruch des Einrichtungsträgers gegenüber dem Jugendamt

In der Praxis scheitern Einrichtungsträger immer wieder bei der Durchsetzung von Zahlungsansprüchen gegenüber dem Jugendamt, weil die von der Rechtsprechung entwickelten Grundsätze zum Dreiecksverhältnis nicht beachtet werden. Zu Problemen kommt es immer wieder dann, wenn Einrichtungsträger Kinder oder Jugendliche in die Einrichtung aufnehmen, ohne, dass zum Zeitpunkt der Aufnahme ein Bewilligungsbescheid und eine Kostenübernahmeerklärung („Kostenzusage“) vorliegt. Zwischen der Aufnahme des Kindes oder Jugendlichen und dem Erlass des bewilligenden Verwaltungsaktes vergeht oft eine längere Zeit (Wochen bis Monate). Während dieses Zeitraumes erbringt der Einrichtungsträger die Leistung auf eigenes Risiko und ohne jeden Rechtsanspruch gegenüber dem Jugendamt. Stellt sich etwa im Nachhinein heraus, dass ein Leistungsanspruch nicht bestand oder besteht, hat der Einrichtungsträger keinerlei Möglichkeit, seinen Aufwand durch das Jugendamt vergütet zu bekommen. Es besteht in diesem Fall unter keinem rechtlichen Gesichtspunkt ein Anspruch. Kaum ein Einrichtungsträger und auch kaum ein Jugendamt nimmt dieses Risiko hinreichend ernst. Es ist in der Praxis der Jugendhilfe die Regel, dass Betreuungsverhältnisse begonnen werden, ohne dass entsprechende Bewilligungsbescheide vorliegen. Dies ist umso erstaunlicher, als das monetäre Ausfallrisiko erheblich ist. Sowohl Einrichtungsträger als auch Jugendämter argumentieren in diesem Kontext regelhaft, dass dieses nicht praktikabel sei. Daran ist nur richtig, dass es nicht praktiziert wird. Ausgewählte Jugendämter und Einrichtungsträger machen vor, dass sich diese Praxis einfach ändern lässt.

Praxistipp: Betreuungsverhältnisse sollten erst begonnen werden, wenn neben einem schriftlichen Betreuungsvertrag auch ein bewilligender Verwaltungsakt (= Bewilligungsbescheid) und eine schriftliche Kostenübernahmeerklärung seitens des Jugendamtes gegenüber dem Einrichtungsträger vorliegt. Beide Schriftstücke müssen Art und Umfang der Betreuung sowie die Höhe der Zahlungsansprüche erkennen lassen.

Rückforderungsansprüche des Jugendamtes

Vereinzelt kommt es zu Auseinandersetzungen um die Rückforderung von Leistungen durch das Jugendamt gegenüber dem Einrichtungsträger. Der Bundesgerichtshof hat hierzu entschieden, dass eine solche Rückforderung dann nicht in Frage kommt, wenn der der Leistung zugrunde liegende Verwaltungsakt gegenüber dem Leistungsberechtigten nicht zurückgenommen wurde. Eine solche Rücknahme des Verwaltungsaktes gegenüber dem Leistungsberechtigten ist aber nur unter engen Voraussetzungen möglich. Es sind die Regeln der §§ 44 ff. SGB X über die Rücknahme und den Widerruf von Verwaltungsakten, insbesondere § 45 Abs. 2 SGB X (Vertrauensschutz) zu beachten.

Zu Problemen kommt es auch im Kontext von Abrechnungsprüfungen bei ambulanten Leistungen. Ambulante Leistungen werden in der Regel auf der Grundlage sogenannter Fachleistungsstunden vergütet. Es entspricht geübter Praxis, dass für bewilligte Fachleistungsstunden (monatliche) Abschläge gezahlt werden und im Nachhinein eine „Spitzabrechnung“ hinsichtlich der tatsächlich geleisteten Fachleistungsstunden vorgenommen wird. Das dabei regelhaft angewandte Prinzip ist: keine Vergütung ohne Leistung. Diese Praxis entspricht jedoch nicht den gesetzlichen Vorgaben:

Die Rechtsprechung geht davon aus, dass das Jugendamt durch Erlass des Bewilligungsbescheides gegenüber dem Leistungsberechtigten der Schuld gegenüber dem Einrichtungsträger beitritt. Das Jugendamt tritt also mit dem Schuldbeitritt neben den Leistungsberechtigten. Weiter ist in der Rechtsprechung anerkannt, dass das Schuldverhältnis zwischen Einrichtungsträger und Leistungsberechtigtem ein Dienstvertrag ist. Es gelten also die Regelungen der §§ 611 ff. BGB. Von Bedeutung ist in diesem Zusammenhang vor allem § 615 BGB, wonach dann, wenn der Dienstberechtigte (hier der Leistungsberechtigte) mit der Annahme der Leistung in Verzug gerät, der zum Dienst Verpflichtete (hier die Einrichtung) die vereinbarte Vergütung gleichwohl verlangen kann, ohne zur Nachleistung verpflichtet zu sein. Fallen also Fachleistungsstunden aus Gründen aus, die im Risikobereich der Leistungsberechtigten liegen, sind diese Stunden gleichwohl zu bezahlen. Zu einer Rückforderung kann es nicht kommen.

Lesen Sie: § 615 BGB und § 616 BGB

Grundsatzurteile

Bundesgerichtshof, Urteil vom 31.03.2016, Aktenzeichen: III ZR 267/15

Leitsätze:

  1. Der Schuldbeitritt des Sozialhilfeträgers zur Zahlungsverpflichtung des Hilfeempfängers aus dessen zivilrechtlichem Vertrag mit dem Leistungserbringer (hier: Schulvertrag über die Betreuung eines behinderten Kindes) erfolgt in der Regel durch einen privatrechtsgestaltenden Verwaltungsakt mit Drittwirkung (zugunsten des Leistungserbringers). Dadurch wird zwischen dem Sozialhilfeträger und dem Leistungserbringer eine zivilrechtliche Rechtsbeziehung begründet. (Rn.20)
  2. Der Sozialhilfeträger ist an den im Bewilligungsbescheid im Grundverhältnis gegenüber dem Hilfeempfänger erklärten Schuldbeitritt grundsätzlich gebunden. Diese Bindungswirkung besteht, solange und soweit der der Bewilligung zugrunde liegende (begünstigende) Verwaltungsakt nicht zurückgenommen, widerrufen, anderweitig aufgehoben oder durch Zeitablauf oder auf andere Weise erledigt ist (§ 39 Abs. 2, §§ 44 ff SGB X). (Rn.25)
  3. Werden der Bewilligungsbescheid und der darin erklärte Schuldbeitritt nach Maßgabe der §§ 44 ff SGB X aufgehoben, entfällt im Verhältnis zum Leistungserbringer der Rechtsgrund für Zahlungen des Sozialhilfeträgers. Wird der Bewilligungsbescheid mit Wirkung für die Vergangenheit zurückgenommen (§ 45 Abs. 2, 4 SGB X), sind bereits geleistete Zahlungen nach § 812 Abs. 1 Satz 2 Alt. 1 BGB auszugleichen.

Bundesgerichtshof, Urteil vom 11.04.2019, Aktenzeichen III ZR 4/18

Leitsätze:

  1. Der Sozialhilfeträger ist an den im Bewilligungsbescheid im Grundverhältnis erklärten Schuldbeitritt grundsätzlich gebunden. Diese Bindungswirkung besteht, solange und soweit der der Bewilligung zugrunde liegende (begünstigende) Verwaltungsakt nicht zurückgenommen, widerrufen, anderweitig aufgehoben oder durch Zeitablauf oder auf andere Weise erledigt ist.(Rn.24)
  2. Die Rücknahme eines Verwaltungsakts für die Vergangenheit (hier: Betreuungskostenübernahme für ein Kind in einer Förderschule) unterliegt nach dem Regelungskonzept des § 45 Abs. 2, Abs. 4 SGB X strengeren Voraussetzungen als diejenige für die Zukunft und stellt die Ausnahme dar. Ein Hilfeempfänger, dem nach einem obsiegenden erstinstanzlichen Urteil Sozialleistungen bewilligt werden, vertraut in der Regel auf die Richtigkeit des Urteils und die Rechtmäßigkeit der Leistungsgewährung. Wird das erstinstanzliche Urteil später im Rechtsmittelzug aufgehoben, kann der Begünstigte auf Erstattung mit Wirkung für die Vergangenheit regelmäßig nur dann in Anspruch genommen werden, wenn in dem Bewilligungsbescheid darauf hingewiesen wird.(Rn.30)

Bundesgerichtshof, Urteil vom 18.02.2021, Aktenzeichen III ZR 175/19

  1. Bedient sich der Träger der öffentlichen Jugendhilfe bei der Gewährung von Leistungen nach § 78a SGB VIII eines freien (privaten) Trägers der Jugendhilfe, erfolgen die Leistungserbringung und Finanzierung auf der Grundlage des jugendhilferechtlichen Dreiecksverhältnisses, das sich an den zum sozialhilferechtlichen Dreiecksverhältnis (§§ 75 ff SGB XII in der bis zum 31. Dezember 2019 gültigen Fassung) entwickelten Grundsätzen orientiert (Bestätigung und Fortführung der Senatsurteile vom 7. Mai 2015 – III ZR 304/14, BGHZ 205, 260 und vom 31. März 2016 – III ZR 267/15, BGHZ 209, 316).(Rn.19)
  2. Bei einem auf Treu und Glauben gestützten Auskunftsbegehren muss der Anspruchsberechtigte zunächst alle ihm zumutbaren Anstrengungen unternehmen, die Auskunft auf andere Weise zu erlangen. Ein vorrangige, den Auskunftsanspruch nach § 242 BGB ausschließende Informationsmöglichkeit ist gegeben, wenn der Berechtigte (hier: Träger der öffentlichen Jugendhilfe) es selbst in der Hand hat, sich die erforderlichen Informationen nach Einleitung eines förmlichen Prüfungsverfahrens zu beschaffen, das vom Verpflichteten (hier: freier Träger einer Jugendhilfeeinrichtung) aktive Mitwirkung verlangt und dem Berechtigten das Recht einräumt, alle den Prüfungsgegenstand betreffenden Auskünfte zu erhalten und sich die erforderlichen Unterlagen vorlegen zu lassen (Bestätigung und Fortführung des Senatsurteils vom 8. Februar 2018 – III ZR 65/17, WM 2018, 508).(Rn.46)

Bundessozialgericht, Urteil vom 28.10.2008, Aktenzeichen B 8 SO 22/07 R

  1. In einem Streit zwischen dem Sozialhilfeempfänger und dem Sozialhilfeträger über die Höhe der zu übernehmenden Heimkosten ist der Heimträger notwendig beizuladen.
  2. Die in einer Einrichtung erbrachte vollstationäre Eingliederungshilfe wird von dem Sozialhilfeträger als Sachleistung in der Form der Sachleistungsverschaffung erbracht.
  3. Der Sozialhilfeträger erklärt durch die Übernahme der Unterbringungskosten im Bewilligungsbescheid den Schuldbeitritt zu der Zahlungsverpflichtung des Heimbewohners gegenüber dem Heim.