Die §§ 36 bis 38 SGB VIII enthalten Sonderregelungen zur Ausgestaltung des Verfahrens. Die Regelungen zum Hilfeplanverfahren nach §§ 36 und 36a SGB VIII wurden durch das „Kinder- und Jugendstärkungsgesetz – KJSG“ (Bundesgesetzblatt Teil I, Nr. 29 vom 09.06.2021) um weitere Verfahrensregelungen erweitert.
Die Vorschriften über das Hilfeplanverfahren konkretisieren die allgemeine Amtsermittlungspflicht und Anhörungspflicht von Sozialleistungsbehörden für das Jugendhilferecht.
Leistungen der Jugendhilfe sind personenbezogene Dienstleistungen, die stark auf den Einzelfall zugeschnitten sind. Durch das Zusammenwirken der zu beteiligenden Fachkräfte und auch einer frühen und umfassenden Beteiligung der Hilfeempfänger sowie deren Vertreter soll die Entscheidungsfindung erleichtert sowie die fachlich geeignetste Hilfe gefunden werden.
Das Hilfeplanverfahren dient außerdem dazu, die Akzeptanz der Hilfe durch die Einbindung und Partizipation der betroffenen Personensorgeberechtigten und jungen Menschen sicher zu stellen. In der Praxis wird das zu Grunde liegende Hilfeplangespräch auch Erziehungs- oder Hilfekonferenz genannt. In jedem Fall wird darüber ein schriftliches Protokoll, der eigentliche Hilfeplan, erstellt.
Werden bei der Durchführung der Hilfe andere Personen, Dienste oder Einrichtungen tätig, so sind sie oder deren Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter an der Aufstellung des Hilfeplans und seiner Überprüfung zu beteiligen.
Lies: § 36 Abs.3 S.1 SGB VIII
Soweit dies zur Feststellung des Bedarfs, der zu gewährenden Art der Hilfe oder der notwendigen Leistungen nach Inhalt, Umfang und Dauer erforderlich ist, sollen öffentliche Stellen, insbesondere andere Sozialleistungsträger, Rehabilitationsträger oder die Schule beteiligt werden.
Lies: § 36 Abs.3 S.2 SGB VIII
Erscheinen Hilfen nach § 35a SGB VIII erforderlich, sind auch der Arzt, die Ärztin, der Therapeut oder die Therapeutin zu beteiligten, welcher bzw. welche die Stellungnahme nach § 35a Absatz 1a SGB VIII abgegeben hat.
Lies: § 36 Abs.4 SGB VIII
Soweit dies zur Feststellung des Bedarfs, der zu gewährenden Art der Hilfe oder der notwendigen Leistungen nach Inhalt, Umfang und Dauer erforderlich ist und dadurch der Hilfezweck nicht in Frage gestellt wird, sollen Eltern, die nicht personensorgeberechtigt sind, an der Aufstellung des Hilfeplans und seiner Überprüfung beteiligt werden. Die Entscheidung, ob, wie und in welchem Umfang deren Beteiligung erfolgt, soll im Zusammenwirken mehrerer Fachkräfte unter Berücksichtigung der Willensäußerung und der Interessen des Kindes oder Jugendlichen sowie der Willensäußerung des Personensorgeberechtigten getroffen werden.
Lies: § 36 Abs.5 SGB VIII
Gewährt der Träger der öffentlichen Jugendhilfe an junge Menschen mit Behinderungen Leistungen zur Teilhabe, sind die Vorschriften zum Verfahren bei einer Mehrheit von Rehabilitationsträgern nach dem Neunten Buch zu beachten. Insbesondere muss das Jugendamt ein Teilhabeplanverfahren durchführen, soweit Leistungen verschiedener Leistungsgruppen oder mehrerer Rehabilitationsträger erforderlich sind.
Lies: § 19 SGB IX
Der Hilfeplan konkretisiert den abstrakten Rechtsanspruch auf Hilfe und ist Grundlage für den in der Folge zu erlassenen Verwaltungsakt. Sorgfältige Dokumentation ist daher für die Geltendmachung von Ansprüchen von erheblicher Bedeutung. Falsch Dokumentiertes sollte beanstandet werden.
Fehler in der Hilfeplanung können in der Regel nicht isoliert durch Rechtsmittel angefochten werden. Fehler in der Hilfeplanung sind Verfahrensfehler, die im Rahmen von Rechtsmitteln gegen einen ablehenden Bescheid geltend gemacht und geprüft werden. Sie können dazu führen, dass die Entscheidung aufgehoben und das Jugendamt zu einer neuen Entscheidung („Neubescheidung“) gezwungen wird.
Leistungen nach dem SGB VIII können grundsätzlich nur erbracht werden, wenn ein ordnungsgemäßes Hilfeplanverfahren durchgeführt wurde. Eine Selbstbeschaffung von Leistungen ist wegen des Vorrangs der Hilfeplanung durch das Jugendamt daher eigentlich ausgeschlossen. Leistungsberechtigte, die Hilfen in Anspruich nehmen und „nachträglich“ beim Jugendamt die Kostenübernahme beantragen, gehen deshalb in der Regel leer aus.
Von diesem Prinzip gibt es Ausnahmen, nämlich dann, wenn das Jugendamt nicht rechtzeitig leistet (sogenanntes „Systemversagen“).
In diesem Fall ist der Leistungsberechtigte berechtigt, sich die Hilfe selbst zu beschaffen. Diese Selbsbeschaffung ist jedoch an folgende Vorausseztungen geknüpft:
War es dem Leistungsberechtigten unmöglich, den Träger der öffentlichen Jugendhilfe rechtzeitig über den Hilfebedarf in Kenntnis zu setzen, so hat er dies unverzüglich nach Wegfall des Hinderungsgrundes nachzuholen.
Lies: § 36a Abs.3 SGB VIII
Die Rechtsprechung hat den Anspruch auf Selbstbeschaffung sehr gestärkt. Sie gesteht den Leistungsberechtigten ein Recht auf inhaltliche Konkretisierung der Leistung zu. Liegen die Voraussetzungen für eine Selbstbeschaffung vor („Systemversagen“), können sie selbst anstelle des Jugendamtes eine eigene Entscheidung über die Geeignetheit und Erforderlichkeit einer Maßnahme treffen.
Vgl.: Bundesverwaltungsgericht, Urteil vom 18.10.2012, Aktenzeichen 5 C 21.11
Dies gilt nicht nur in den Fällen, in denen das Jugendamt nicht rechtzeitig entscheidet, sondern auch in denjenigen Fällen, in denen das Jugendamt eine nicht den gesetzlichen Anforderungen entsprechende Entscheidung getroffen hat.
Vgl.: Bundesverwaltungsgericht, Urteil vom 09. Dezember 2014, Akenzeichen 5 C 32/13 – Rn. 33
Eine weitere Ausnahme vom Gebot der vorherigen Durchführung eines Hilfeplanverfahrens gilt bei der Inanspruchnahme sogenannter niedrigschwelliger Hilfen, insbesondere der Erziehungsberatung nach § 28 SGB VIII.
Lies: § 36a Abs.2 SGB VIII
Der Übergang hilfebedürftiger junger Menschen in andere Hilfesysteme, insbesondere in die Systeme der Eingliederungshilfe, aber auch der Sozialhilfe und der Arbeitslosenhilfe, ist seit Jahrzehnten von Auseinandersetzungen und Konflikten zwischen den Leistungsträgern um Zuständigkeiten und Verantwortlichkeiten geprägt. Brüche in der Leistungsgewährung sind an der Tagesordnung. Kontinuität in der Leistungserbringung ist oft nicht gewährleistet.
Mit dem „Kinder- und Jugendstärkungsgesetz – KJSG“ (Bundesgesetzblatt Teil I, Nr. 29 vom 09.06.2021) hat der Gesetzgeber eine Regelung zur Zusammenarbeit beim Zuständigkeitsübergang etabliert.
Diese verpflichtet die in Betracht kommenden Sozialleistungsträger und auch andere öffentliche Stellen zum Abschluss von Vereinbarungen im Rahmen des Hilfeplans. Diese Vereinbarungen haben der Träger der öffentlichen Jugendhilfe und die weiteren beteiligten Stellen dahingehend zu prüfen, welche Leistung nach dem Zuständigkeitsübergang dem Bedarf des jungen Menschen entsprechen.
Lies: § 36b SGB VIII
Geht es um einen Übergang zu Eingliederungshilfeleistungen, wird die Leistungskontinuität – abweichend von Abs.1 – im Rahmen eines Teilhabeplanverfahrens nach § 19 SGB IX geklärt.
Zuständig für die Initiierung der beschriebenen Planungsprozesse ist der Träger der öffentlichen Jugendhilfe.
In zeitlicher Hinsicht verlangt Abs.1 eine “rechtzeitige” Planung. Für die Initiierung der Teilhabeplanung nennt Abs.2 einen Zeitraum von einem Jahr vor dem voraussichtlichen Zuständigkeitswechsel. Soll also etwa ein Jugendlicher mit Erreichen der Volljährigkeit in die Eingliederungshilfe wechseln, sind die entsprechenden Planungsprozesse bereits ab dem 17. Geburtstag einzuleiten.
§ 37c SGB VIII enthält wesentliche Neuregelungen zur sog. “Perspektivklärung”. Grundsätzlich hält der Gesetzgeber daran fest, dass durch Beratung und Unterstützung die Entwicklungs-, Teilhabe- oder Erziehungsbedingungen in der Herkunftsfamilie innerhalb eines im Hinblick auf die Entwicklung des Kindes oder Jugendlichen vertretbaren Zeitraums so weit verbessert werden sollen, dass sie das Kind oder den Jugendlichen wieder selbst erziehen kann (Abs.1 S.2). Gleichzeitig regelt er aber auch, dass dann, wenn eine nachhaltige Verbesserung der Entwicklungs-, Teilhabe- oder Erziehungsbedingungen in der Herkunftsfamilie innerhalb dieses Zeitraums nicht erreichbar erscheint, Beratung und Unterstützung der Eltern sowie die Förderung ihrer Beziehung zum Kind der Erarbeitung und Sicherung einer anderen, dem Wohl des Kindes oder Jugendlichen förderlichen und auf Dauer angelegten Lebensperspektive dienen sollen.
Lies: § 37c SGB VIII
Die genauere Ausgestaltung der Regelung zur Perspetkivklärung war bereits während des vorhergehenden Gesetzgebungsverfahrens zum KJSG (2017) hoch umstritten. Die nun gefundene Lösung greift zentrale fachliche Positionen des Dialogforums Pflegekinderhilfe auf.
Die in den Regelungen des SGB VIII verankerten Regelungen zur prozesshaften Stärkung der Perspektivklärung finden ihr zivilrechtliches Pendant in den Neuregelungen zur sogenannten “Verbleibensanordnung” in § 1632 Abs. 4 BGB und § kt1696 Abs. 3 BGB.
Das Familiengericht kann von Amts wegen oder auf Antrag der Pflegeperson anordnen, dass der Verbleib bei der Pflegeperson auf Dauer ist, wenn
Das Familiengericht hat eine entsprechende Anordnung auf Antrag der Eltern aufzuheben, wenn die Wegnahme des Kindes von der Pflegeperson das Kindeswohl nicht gefährdet.
Lies: § 1632 Abs.4 BGB und § 1696 Abs.3 BGB
Auch für die “Dauerverbleibensanordnung” gilt das zur Perspektivklärung gesagte. Das “Ob” und das “Wie” der Ausgestaltung der Regelung waren während des vorhergehenden, aber auch des aktuellen Gesetzgebungsverfahrens umstritten. Die jetzt gefundene Kompromisslösung spiegelt das Votum der ganz überwiegenden Mehrheit der Mitglieder der Arbeitsgruppe “SGB VIII – Mitreden-Mitgestalten” wieder.
Die Anforderungen für die Unterbringung von Jugendlichen im Ausland wurden durch das „Kinder- und Jugendstärkungsgesetz – KJSG“ (Bundesgesetzblatt Teil I, Nr. 29 vom 09.06.2021) wesentlich verschärft.
Lies: § 38 SGB VIII
Erhebliche Hürden für die Unterbringung von Kindern und Jugendlichen wurden durch die Anforderungen an die Einhaltung der sog. “Brüssel IIa-Verordnung” aufgebaut. Insbesondere ist sicherzustellen, dass vor der Entscheidung über die Hilfegewährung die entsprechenden Konsultationsverfahren in den betroffenen Mitgliedsstaaten durchgeführt werden. Außerdem sind die Anforderungen des Haager Kinderschutzübereinkommens (HKÜ) anzuwenden, wenn der Vertragsstaat nicht der “Brüssel IIa-Verordnung” unterliegt. Auch danach sind Konsultationsverfahren und vorherige Zustimmungserfordernisse zu beachten.
Der Träger der öffentlichen Jugendhilfe soll nach § 38 Abs.2 SGB VIII vor der Entscheidung über die Gewährung einer Hilfe, die ganz oder teilweise im Ausland erbracht wird,