Florian Gerlach

Seminare zum „Recht der Sozialen Arbeit“

Evangelische Hochschule Bochum

Lehreinheit 07

Webinar und Selbstlerneinheit

Lernziele

Nach Abschluss dieser Einheit kennst du die rechtlichen Rahmenbedingungen für den Eingriff ins Sorgerecht bei Kindeswohlgefährdung. Du weist über das Sorgerecht bei Pfelgeeltern und Kindern in Einrichtungen Bescheid. Darüber hinaus hast du Rechtskenntnisse in folgenden Bereichen: Meinungsverschiedenheiten der Eltern, Sorgererecht bei minderjährigen Eltern, Sorgerecht bei geschäftsunfähigen Eltern, Sorgerecht bei längerer Krankheit oder Abwesenheit, Sorgerecht bei vertraulicher Geburt.

Aufgaben

Studiere die Podcast sowie die Inhalte zu folgenden Themenbereichen:

Wiederholung

Was versteht man unter staatlichem Wächteramt?

Unter welchen Voraussetzungen kann das Familiengericht in die elterliche Sorge eingreifen?

Was versteht man unter einer „Kindeswohlgefährdung“?

Was versteht man unter „erforderliche Maßnahmen“ i.S. des § 1666 BGB?

Wer nimmt nach erfolgtem Eingriff ins Elternrecht an deren Stelle das Sorgerecht wahr?

Bitte erläutere die Aufgaben und Rechte von Vormündern, Pflegern, Pflegeeltern/-personen und grenze sie voneinander ab.

Bitte erläutere wichtige Verfahrensvorschriften für das familiengerichtliche Verfahren in Sorgerechtsfällen. Wie wirken Jugendamt und Familiengericht zusammen? Welche Funktion haben Verfahrensbeistände?

Fallübungen:

Fall 1: Der Fall Leon K. – Kindeswohlgefährdung im familiengerichtlichen Verfahren

Leon K. (8) lebt zusammen mit seiner alleinerziehenden Mutter Sarah K. (27) in einer Zweizimmerwohnung am Stadtrand. Die Grundschullehrerin Frau Weber meldet sich beim Jugendamt, nachdem Leon in den letzten drei Monaten mehr als 25 Schultage unentschuldigt gefehlt hat. Wenn er erscheint, macht er einen müden und ungepflegten Eindruck, trägt häufig dieselbe Kleidung und hat kein Pausenbrot dabei. Im Unterricht zeigt er aggressive Verhaltensweisen gegenüber Mitschülern.

Bei einem unangekündigten Hausbesuch des Jugendamts um 11 Uhr vormittags öffnet die Mutter im Schlafanzug. In der Wohnung herrscht starker Alkoholgeruch, auf dem Boden und den Möbeln stehen zahlreiche leere Weinflaschen. Die Küche ist mit verschimmeltem Geschirr überhäuft, im Kühlschrank befinden sich lediglich einige Fertiggerichte und Bier.

Leons Zimmer enthält zwar Spielzeug, ist jedoch durch Müll und schmutzige Wäsche kaum begehbar. Seine Matratze liegt ohne Bezug auf dem Boden, es sind keine sauberen Kleidungsstücke zu finden. Die Mutter Sarah K. gibt während des Gesprächs an, seit ihrer Trennung vom neuen Lebensgefährten vor sechs Monaten in einer „schwierigen Phase“ zu sein. Sie arbeitet als Reinigungskraft in Teilzeit, kommt jedoch häufig nicht zur Arbeit. Von Leons Vater ist nur der Name Thomas M. bekannt, er hat das Kind nie kennengelernt.

Im Gespräch mit der Sozialarbeiterin berichtet Leon, dass er oft alleine zuhause sei, auch nachts. Wenn die Mutter da ist, schläft sie viel. Manchmal schreit sie ihn an oder sperrt ihn in sein Zimmer ein, wenn er „nervt“. Essen muss er sich selbst machen, meistens gibt es Cornflakes oder Brot. Er vermisst seinen „Ersatzpapa“ (den Ex-Lebensgefährten der Mutter) sehr.

Das Jugendamt bietet der Mutter zunächst eine Sozialpädagogische Familienhilfe und die Vermittlung einer Suchtberatung an. Sie lehnt dies mit der Begründung ab, sie brauche keine Hilfe und würde die Situation schon in den Griff bekommen. Daraufhin informiert das Jugendamt das Familiengericht.

Fallfragen:

  1. Prüfen Sie die Voraussetzungen für das Vorliegen einer Kindeswohlgefährdung nach § 1666 Abs. 1 BGB. Gehen Sie dabei insbesondere auf die einzelnen Tatbestandsmerkmale ein.
  2. Welche Maßnahmen kann das Familiengericht nach § 1666 Abs. 3 BGB anordnen? Erörtern Sie die verschiedenen Möglichkeiten unter besonderer Berücksichtigung des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes.
  3. Das Familiengericht erwägt die Entziehung der elterlichen Sorge und die Bestellung eines Vormunds. Prüfen Sie die rechtlichen Voraussetzungen und erörtern Sie, ob eine teilweise Übertragung auf einen Ergänzungspfleger ausreichend sein könnte.
  4. Erläutern Sie die Rolle des Jugendamts im familiengerichtlichen Verfahren nach §§ 50, 162 FamFG.
  5. Gegen die vom Familiengericht getroffenen Maßnahmen legt die Mutter Beschwerde ein. Sie argumentiert, sie habe inzwischen eine Suchtberatung aufgesucht und wolle sich bessern. Prüfen Sie die Erfolgsaussichten der Beschwerde.
  6. Unterstellen Sie, das Familiengericht ordnet eine Fremdunterbringung an. Erörtern Sie die Vor- und Nachteile einer Unterbringung in einer Pflegefamilie im Vergleich zu einer Heimunterbringung. Gehen Sie dabei auch auf die Bedeutung des Umgangsrechts und eine mögliche Rückführungsperspektive ein.

Fall 2: Der Fall Lisa und Justin – Minderjährige Eltern und Sorgerechtsregelung

Die 15-jährige Lisa besucht die 9. Klasse einer Realschule. Sie lebt bei ihrer alleinerziehenden Mutter Andrea P. (34), die als Kellnerin arbeitet. Im Juni 2024 erfährt Lisa, dass sie im 4. Monat schwanger ist. Der Vater ist ihr 16-jähriger Freund Justin, mit dem sie seit einem Jahr zusammen ist.

Justin lebt bei seinen Eltern Thomas und Sabine M., die beide als Angestellte in Vollzeit arbeiten. Nachdem der erste Schock über die Schwangerschaft überwunden ist, wollen sowohl Lisa als auch Justin sich um ihr Kind kümmern. Lisas Mutter sichert ihre Unterstützung zu, damit Lisa ihren Schulabschluss machen kann. Auch Justins Eltern bieten ihre Hilfe an, bestehen aber darauf, dass Justin zunächst seine Ausbildung als Mechatroniker beginnt wie geplant.

Im Februar 2025 bringt Lisa ihre Tochter Emma zur Welt. Lisa und Justin möchten die gemeinsame Sorge für Emma übernehmen. Sie wollen auch, dass Emma Justins Nachnamen trägt. Lisa soll zunächst mit Emma bei ihrer Mutter wohnen bleiben. An den Wochenenden möchte Justin bei ihnen sein.

Beide Familien kommen zum Jugendamt, um die rechtliche Situation zu klären.

Fallfragen:

1. Wie ist die rechtliche Situation hinsichtlich der elterlichen Sorge zu beurteilen? Prüfen Sie dabei insbesondere:

  • Die Möglichkeit der Sorgerechtsausübung durch die minderjährigen Eltern
  • Die Rolle der Großeltern
  • Die Notwendigkeit einer Vormundschaft

2. Unter welchen Voraussetzungen kann die Vaterschaft rechtswirksam anerkannt werden? Prüfen Sie die formellen und materiellen Voraussetzungen unter Berücksichtigung der Minderjährigkeit.

Das Jugendamt erwägt die Bestellung eines Vormunds für Emma. Prüfen Sie:

  • Die rechtliche Notwendigkeit
  • Den Umfang der Vormundschaft
  • Mögliche Personen als Vormund
  • Die Rechte und Pflichten des Vormunds

Ein Jahr später möchte Lisa zu Justin und seinen Eltern ziehen. Prüfen Sie:

  • Die rechtlichen Voraussetzungen für den Umzug
  • Eventuelle Änderungen in der Sorgerechtsregelung
  • Die Rolle der Großeltern bei dieser Entscheidung

Webinar vom 21. November 2024