Florian Gerlach

Seminare zum „Recht der Sozialen Arbeit“

Evangelische Hochschule Bochum

Anrechnung von fremdem Einkommen

Podcast: Grundsicherung – Anrechnung von fremdem Einkommen

Wie bereits dargestellt wurde, ist leistungsberechtigt i.S.d. SGB II nur, wer hilfebedürftig ist (§ 7 Abs. 1 S. 1 Nr. 3 SGB II). In § 9 SGB II wird der Begriff der Hilfebedürftigkeit definiert. Danach ist nicht hilfebedürftig , wer seinen Lebensunterhalt durch ausreichend eigenes Einkommen und Vermögen sichern kann oder von Trägern andere Sozialleistungen (z.B. Krankengeld von der gesetzlichen Krankenversicherung) erhalten kann. Dieser Komplex (Sicherung des Lebensunterhaltes durch eigenes Einkommen/Vermögen bzw. Sozialleistungen) wurde bereits erörtert.
Darüber hinaus wird unter bestimmten Voraussetzungen auch Einkommen und Vermögen anderer, mit dem Hilfebedürftigen sozial verbundener Personen auf den Bedarf des Hilfebedürftigen angerechnet.

Lies: § 9 Abs. 2 und Abs. 5 SGB II

Einfachstes Beispiel ist die Anrechnung von Elterneinkommen auf den Bedarf der Kinder. Im SGB II findet – wie im Unterhaltsrecht – eine Inanspruchnahme der Familie für den Unterhalt der Hilfebedürftigen statt. Diese Inanspruchnahme der Familie für die Versorgung der Hilfesuchenden geht im SGB II aber über das Unterhaltsrecht hinaus, insofern auch Personen in die Verantwortung genommen werden, die gar nicht mehr zur Familie im engeren Sinne gehören. Die Anrechnung von fremdem Einkommen findet nämlich nicht nur in der klassischen Kernfamilie (Ehegatten im Verhältnis zueinander und Eltern im Verhältnis zu ihren Kindern) statt, sondern überall dort, wo Personen wie eine „Familie“ füreinander einstehen. Im Kern geht es deshalb um die Inanspruchnahme nicht nur der „Familie“, sondern von sich nahestehenden Personen überhaupt für die Versorgung der jeweils anderen. Was die so zusammenlebenden Menschen (seien es Partner in einer Beziehung, seien es Eheleute oder seien es Eltern und Kinder), aus ihrer Zuneigung füreinander praktisch tun und wollen – nämlich einander in einer ausweglosen Situation helfen – greift der Gesetzgeber auf und macht diese Fürsorge zur rechtlichen Pflicht. Im Detail unterscheidet der Gesetzgeber verschiedene Formen der Anrechnung fremden Einkommens:

  • Partner in Bedarfsgemeinschaft im Verhältnis zueinander
  • Kindern müssen sich das Einkommen ihrer Eltern anrechnen lassen – i.d.R nicht umgekehrt
  • Kinder müssen sich das Einkommen der Partner ihrer Eltern („Stiefeltern“) anrechnen lassen
  • Hilfebedürftige in Haushaltsgemeinschaft mit Verwandten und Verschwägerten.

Angerechnet wird immer nur das überschüssige Einkommen. Nur wer ein Einkommen hat, das über seinen eigenen Bedarf hinausgeht, hat überschüssiges Einkommen, das angerechnet werden kann. Dieser Bedarf ist letztlich der Betrag, den man der Person, die man für den Unterhalt der anderen vereinnahmen will, zu deren eigener Existenzsicherung belässt. Die Berechnung erfolgt nach der sogenannten „vertikalen Berechnungsmethode“.

Lies: BSG, Urteil vom 18.06.2008

Im Einzelnen gilt:

Anrechnung von Einkommen des Partners

Leben Partner in einer Bedarfsgemeinschaft, so muss sich der eine das Einkommen des anderen anrechnen lassen.

Lies: § 9 Abs. 2 S. 1 SGB II

Partner sind:

a) die nicht dauernd getrennt lebende Ehegattin oder der nicht dauernd getrennt lebende Ehegatte,

b) die nicht dauernd getrennt lebende Lebenspartnerin oder der nicht dauernd getrennt lebende Lebenspartner,

c) eine Person, die mit der erwerbsfähigen leistungsberechtigten Person in einem gemeinsamen Haushalt so zusammenlebt, dass nach verständiger Würdigung der wechselseitige Wille anzunehmen ist, Verantwortung füreinander zu tragen und füreinander einzustehen.

Lies: § 7 Abs. 3 Nr. 3 und Nr. 3a SGB II

Anrechnung von Einkommen der Eltern

Nach § 9 Abs. 2 S. 2 SGB II müssen sich Kinder, die mit ihren Eltern in einer Bedarfsgemeinschaft leben, das Einkommen ihrer Eltern anrechnen lassen.

Lies: § 9 Abs. 2 S. 2 SGB II

Kinder in diesem Sinne sind alle Kinder unter im Altern 25 Jahren.

Lies: § 7 Abs. 3 Nr. 4 SGB II

Anrechnung von Einkommen des „Stiefelternteils“

Nach § 9 Abs. 2 S. 2 SGB II müssen sich Kinder nicht nur das Einkommen der eigenen Eltern, sondern auch das Einkommen des Partners oder der Partnerin des Elternteils anrechnen lassen.

Lies: § 9 Abs. 2 S. 2 SGB II

Beispiel: Frau Lindemann und ihre Tochter Janina haben kein Einkommen. Frau Rochlitz zieht mit ihrer Partnerin, Frau Grüter, zusammen. Dieser hat Einkommen. Nach Abzug seines eigenen fiktiven Bedarfes wird der Überschuss auf den Bedarf der Partnerin (§ 9 Abs. 2 S. 1 SGB II) und auf den des Kindes angerechnet und verteilt (Rechnung: Bedarf – bereinigtes Einkommen/Vermögen = Überschuss).

Ausnahme: Keine Anrechnung bei Kindern mit Kindern

Bei Kindern die Kinder haben oder bekommen findet keine Anrechnung von Elterneinkommen oder „Stiefelterneinkommen“ statt.

Lies: § 9 Abs. 3 SGB II

Haushaltsgemeinschaft

Auch sonstige Verwandte sowie Verschwägerte, die zwar nicht zur Bedarfs–(zum Begriff siehe oben), wohl aber zur Haushaltsgemeinschaft gehören, müssen füreinander einstehen, sofern ausreichendes Einkommen vorhanden ist. Hilfebedürftige erhalten keine Leistungen, wenn sie mit Verwandten (vgl. § 1589 BGB) und Verschwägerten (vgl. § 1590 BGB) in einer Haushaltsgemeinschaft leben und von diesen nach deren Einkommen und Vermögen erwartet werden kann, dass sie für die hilfebedürftigen Mitglieder der Haushaltsgemeinschaft einstehen.

Lies: § 9 Abs. 5 SGB II

In § 9 Abs. 5 SGB II heißt es, dass „vermutet wird“, dass die Hilfebedürftigen von den Verwandten bzw. Verschwägerten Leistungen erhalten. Dies ist eine häufig in Gesetzen benutzte Formulierung. Wenn etwas „vermutet wird“ bedeutet dies, dass die Behörde bzw. das Gericht zunächst davon ausgeht, dass die Sache sich so verhält, wie es der Vermutung entspricht. Wenn der Betroffene die Vermutung nicht gegen sich gelten lassen will, muss er sie „widerlegen“, also das Gegenteil beweisen oder glaubhaft machen. Eine weitere derartige Vermutung haben wir bereits in § 7 Abs. 3a SGB II (Vermutung der Partnereigenschaft) kennengelernt.

Beispiel: Die 60-jährige erwerbsfähige Gisela lebt mit ihrer 30-jährigen Tochter Jana in einem Haushalt. Tochter Jana hat ausreichendes Einkommen oder Vermögen. In diesem Fall wird vermutet, dass die Tochter die Mutter unterhält und der Mutter wird die Leistung verweigert.

Zum Rückgriff auf Verwandte und Verschwägerte in der Haushaltsgemeinschaft kommt es nur, wenn dies nach deren Einkommen und Vermögen „erwartet“ werden kann. Hiermit ist gemeint, dass ein Rückgriff auf diese Personen in diesen Verhältnissen erfolgt, wenn die Verwandten bzw. Verschwägerten über ein ausreichend hohes Einkommen verfügen. Letztlich geht es hier um die Frage, wie viel an Einkommen bzw. Vermögen man den Verwandten bzw. Verschwägerten für deren eigenen Bedarf belässt. Während bei der Anrechnung nach § 9 Abs. 2 SGB II der Partner bzw. der Elternteil nur so viel behalten darf, dass sein eigener Bedarf gedeckt ist und den Überschuss für die übrigen Mitglieder der Bedarfsgemeinschaft einsetzen muss, ist es in der Haushaltsgemeinschaft nach § 9 Abs. 5 SGB II so, dass dem Verwandten bzw. Verschwägerten ein höherer Freibetrag zugebilligt wird. Dem liegt die Wertung zu Grunde, dass derjenige, der „bloß“ als Mitglied einer Haushaltsgemeinschaft in Anspruch genommen wird, mehr zustehen soll, als demjenigen der als Angehöriger der Bedarfsgemeinschaft in Anspruch genommen wird. Die Mitglieder der Bedarfsgemeinschaft sind eben näher am Hilfebedürftigen dran als bloß Verwandte und Verschwägerte – so die Wertung des Gesetzes.

Welche Beträge konkret beim Verwandten bzw. Verschwägerten verbleiben dürfen, ist in § 1 Abs. 2 AlG II-Verordnung für das Einkommen bzw. in § 7 Abs. 2 AlG II-Verordnung für das Vermögen geregelt.

Lies: § 1 Abs. 2 AlG II-Verordnung§ 7 Abs. 2 AlG II-Verordnung